Julia Collection Band 57
bewog Lindsey, ans Küchenfenster zu gehen. Sie hörte ihn oft lachen, seit Lincoln vor Wochen in sein Leben getreten war.
Inzwischen wimmelte es auf der Stuart-Farm nur so von Cades – außer Lincoln waren seit Tagen auch seine drei Brüder hier. Männer, die sie in den Jahren ihrer Freundschaft mit Lucky und Lincoln nur dem Namen nach gekannt hatte. Jeder hatte eine ganz eigene Ausstrahlung, und jeder war ein Fachmann auf seinem Gebiet.
Adams, der Älteste der vier, hatte, nachdem Lincoln ihn um Hilfe gebeten hatte, seine Crew von einem historischen Stadthaus in Belle Terre, das er restaurierte, abgezogen. Unter seiner Regie waren die Handwerker – Zimmerleute, Klempner, Elektriker und Maler – schnell vorangekommen.
Als Erstes hatten sie sich das Haus vorgenommen. Alles, was zerbrochen, lose, verrottet oder auch nur unschön war, war repariert oder ersetzt worden. Die Fassade hatte einen neuen Anstrich bekommen, stilgetreu nachgebaute Fensterläden ersetzten die völlig verzogenen alten. Die gepflasterten Gartenwege waren ausgebessert worden, Zäune ebenfalls, um das Wild vom Blumen- und Gemüsegarten fernzuhalten.
Eine große Überraschung bescherte Lindsey die Inneneinrichtung. Denn sobald die Handwerker Frannie Stuarts alte Möbel aufgearbeitet hatten, stellte sich heraus, dass viele erstklassige Antiquitäten darunter waren. Luckys Erbstücke. Sein Vermächtnis an das Kind, das er wie sein eigenes geliebt hatte.
Um diesen Schätzen einen würdigen Rahmen zu geben, waren alle Räume neu gestrichen, die Holzfußböden repariert und neu gewachst worden. Und das alles in einem Tempo, dass es Lindsey auch jetzt noch den Atem nahm.
Jackson, der drittälteste der Brüder und erfolgreicher Pferdezüchter, kümmerte sich um das Land. Zusammen mit Lincoln und seinen eigenen Leuten zäunte er mehr als hundert Morgen Wiesen und Wald ein. Da Lindsey nicht recht wusste, was sie eigentlich mit dem Land anfangen sollte, machte Jackson ihr den Vorschlag, es als Weideland von ihr zu pachten.
Jefferson, bei dem sie sich noch am unbefangensten fühlte, weil er so eine ruhige, freundliche Art hatte, nahm sich des alten Obstgartens an. Er beschnitt Pfirsich-, Apfel- und Birnbäume und kümmerte sich darum, dass die Rebstöcke in dem kleinen Weingarten wieder ordentlich in Reih und Glied wuchsen.
Miss Corey, die Haushälterin in Belle Rêve, sorgte dafür, dass es täglich drei warme Mahlzeiten gab. Bei dem schönen Wetter, das momentan herrschte, wurde das Essen auf provisorischen Tischen aus Brettern und Holzböcken unter den uralten Eichen serviert.
Cade war begeistert von diesem endlosen Picknick. Da sie durch Luckys Krankheit sehr zurückgezogen gelebt hatten, genoss er es, jetzt Gesellschaft um sich zu haben. Wie wohl jeder kontaktfreudige Fünfjährige blühte er unter der vielen Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde, richtig auf.
In den Wochen gemeinsamen Schaffens arbeitete Lincoln härter als alle anderen, war jedoch sorgsam auf Abstand bedacht. Lindsey merkte schnell, dass er, falls Jackson ihn nicht gebeten hätte, ihm in entlegeneren Teilen der Stuart-Farm zur Hand zu gehen, sich freiwillig gemeldet hätte.
Zuerst war sie dankbar dafür gewesen. Doch dann hatte sie festgestellt, dass sie sich seiner ständig bewusst war, egal, wie weit entfernt er tatsächlich war. Allein der Gedanke, dass Lincoln irgendwo auf der Farm war, machte sie nervös.
Auch wenn sie sich nett und freundlich gab, war Lindsey wegen ihrer aufgewühlten Emotionen nie entspannt genug, um sich bei dem sympathischen Team aus Brüdern und Handwerkern wirklich wohlzufühlen. Sie hätte längst an das atemberaubende Arbeitstempo gewöhnt sein müssen und erst recht an den lockeren Umgangston. Vor allem, weil Adams’ und Jacksons Mitarbeiter inzwischen nach Belle Terre zurückgekehrt und nur noch die Cades da waren.
Doch selbst nach Wochen emsiger Betriebsamkeit und nachdem sie oft genug das gutmütige Geplänkel der Brüder untereinander miterlebt hatte, traute sie weder Lincolns Motiven für seine Großzügigkeit, noch mochte sie sich seinen Brüdern anschließen.
Lindsey war klar, dass das allein an ihr lag. Sie hatte nie eine Familie gehabt – zumindest nicht vor der Zeit, als Lucky, Lincoln und sie ein Team bei der Feuerwehr gebildet hatten. Die beiden waren meine Familie, dachte sie wehmütig. Sie schob die Erinnerung beiseite. Sie würde sich nicht ausmalen, was alles hätte sein können. Ihre Sorge galt dem Hier und Heute.
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