Julia Exklusiv Band 0194
kann es vertragen“, Anita lachte, „es wird ihm guttun, eine Frau zu treffen, die sich von seinem Piraten-Charme nicht beeindrucken lässt.“
„He, du hast zugegeben, dass er Charme hat.“
„Welcher Mann hat ihn nicht, wenn er sich Mühe gibt? Und nun zu Bett, Kleines. Deine Augen sind schon ganz schläfrig.“
In herzlicher Zuneigung schlang Kim ihre Arme um Anita und küsste sie schwesterlich auf die Wangen.
„Ich habe dich gern. Du bist so anders als meine Lehrer und Cousine Val. Du bist wie eines jener verzauberten Ritterfräulein, das von einem Ritter erlöst werden muss.“
„Wovon sollte ich denn erlöst werden?“
„Von der Liebe zu dem falschen Mann!“
Anita war verdutzt. Was konnte dieses Kind von ihrer Liebe zu Tarquin wissen, die so schön wie ein Gedicht, wie ein Lied gewesen war?
Jeder neue Tag begann mit dem Gesang der Vögel, dem frischen Geruch von Seetang und dem einladenden Geglitzer des Meeres unterhalb der Klippen. Die Mädchen waren mit den ersten Sonnenstrahlen aus dem Bett und schwammen schon im Meer, bevor ihnen Mrs. Lovibond das Frühstück richtete.
Jeder Tag war sonnig mit leicht bewegter See, bis zum Sonnabend.
„Oh“, schrie Kim, als sie prustend aus den Wellen rannte, „heute packt einen das Wasser ganz schön!“
Anita lachte und nahm ihre Hand. Sie liefen die Stufen zum Haus hinauf.
„Wollen wir heute einmal nach Mawgan-in-Vale gehen? Wir waren die ganze Woche am Strand, und ich möchte gern das kleine Schmuggler-Dorf am Fuß des Vale besuchen.“
„Ja, gern“, stimmte Kim zu. „Es sieht nach Regen aus, doch wir können uns ja die Wettermäntel mitnehmen.“
Sie frühstückten ausgiebig, dann machten sie sich einen Pick-nick-Korb zurecht und wanderten los. Ein paar Stunden ging es durch Wald-und Moorlandschaft, bis sie das alte Schmuggler-Dörfchen erreichten.
Jetzt sah es dort friedlich aus. Die buntgestrichenen Häuser standen eines über dem anderen, getrennt nur durch winzig schmale Gassen. Die eisernen Treppen, die außen an den Häusern entlangliefen, waren voller Kästen mit buntblühenden Blumen.
Die Fenster und Türen waren schmal. Katzen, die sich putzten, saßen in der Sonne, Hunde strichen durch die Straßen.
Anita war begeistert. Es war, als wäre die Zeit stehengeblieben und hätte alles unversehrt gelassen. Der Alte da, der wie ein Wikinger aussah und seine Pfeife stopfte, hätte ein Piratenkapitän sein können.
Das schwarzhaarige Mädchen, das nebenan Wäsche aufhängte, hätte die Liebste eines wilden Schmugglers sein können, der heimlich bei Nacht seine Seidenstoffe und Spitzen brachte, um das zu Unrecht erworbene Gut in verborgenen Truhen bei seinem Mädchen zu verstecken.
Ich freue mich, dachte Anita, und bin glücklich, nach Cornwall gekommen zu sein, um das alles zu erleben.
Der Tag verging fröhlich. Auf einer Bank in einer kleinen Grünanlage aßen sie aus dem Picknick-Korb, dann gingen sie weiter auf Entdeckungsreisen, kauften Postkarten in einem kleinen Laden, der gleichzeitig Poststelle war.
„Ich schicke ein paar in die Bretagne“, sagte Kim. „Und eine ist für Paps. An wen schreibst du?“
Anita betrachtete die bunte Karte und dachte an Ann Destry, doch Ann war vermutlich nicht mehr in Avendon. Wenn Tarquin inzwischen aus der Klinik entlassen worden war, würden sie und Buckley ebenfalls abgereist sein. Sie hatten Pläne für London, und Tarquin war wohl auf dem Weg nach Rom.
„Ach, ich behalte die Karten zur Erinnerung“, überlegte Anita. „Mawgan-in-Vale ist ein so bezaubernder Ort. Ich möchte mich gern immer an diesen Tag erinnern.“
Gegen vier Uhr nachmittags machten sie sich auf den Rückweg. Der Himmel hatte sich bezogen. Die Wolken wurden immer dunkler und dicker. Auf dem Hügel hinter dem Dorf ging plötzlich ein scharfer Wind. Ein Dorfbewohner kam ihnen entgegen.
„Laufen Sie schnell nach Hause“, rief er Anita und Kim zu. „Diese Wolken werden sich in Kürze ausschütten und Sie bis auf die Haut durchnässen.“
Der Mann hatte recht. Kaum zehn Minuten später fielen die ersten Tropfen. Sie hatten Glück und entdeckten seitlich des Weges eine alte Mühle. Wie die Wilden rannten sie unter das schützende Dach. Bevor es richtig losging, hatten sie die Mühle erreicht.
Schwer atmend standen sie in der dunklen Toreinfahrt. Der Wind fegte den Regen in Böen um das Gebäude, die Bäume wurden hin und her gerissen, es prasselte auf die Granitsteine, man konnte kaum einen Meter weit
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