Julia Exklusiv Band 0197
weil wir uns immer sehr nahegestanden haben, vielleicht zu nahe. Schon längst hätte ich dich veranlassen müssen, dein eigenes Leben zu führen. Doch du warst ein einsames Kind und immer von mir abhängig, Cleo. Nun, inzwischen bist du erwachsen geworden, und wir sollten endlich getrennte Wege gehen.“
Mühsam bekämpfte sie den Impuls, in hysterisches Gelächter auszubrechen. In all den Jahren hatte sie sich eingeredet, sie dürfe ihren Vater nicht verlassen, weil er von ihr abhängig sei. Stattdessen hatte er geduldig gewartet, bis sie als Erwachsene ihre eigene Unabhängigkeit beanspruchen würde.
„Bestimmt wirst du Laura mögen, wenn du sie erst mal besser kennst“, fuhr er fort. „Ich weiß, sie ist keine Schönheit, aber warmherzig, liebevoll und ehrlich, und sie bedeutet mir sehr viel.“
„Aber … meine Mutter …“
„Natürlich, ich habe sie geliebt, doch sie ist seit achtzehn Jahren tot. Das war eine lange und einsame Zeit für mich.“
„Du hattest mich“, entgegnete sie gekränkt.
„Sicher, und ich liebe dich. Noch heute danke ich deiner Mutter, weil sie tapfer genug war, mir eine Tochter zu schenken. Trotzdem empfinde ich immer noch das Bedürfnis, mein Leben mit einer Frau zu teilen. Du müsstest doch alt genug sein, um das zu verstehen.“
Bei der letzten Bemerkung hatte Cleo nur mit halbem Ohr zugehört. Ihr Interesse galt seinen vorangegangenen Worten. „Was meinst du? Meine Mutter war tapfer genug?“
„Nun, sie kannte das Risiko, das sie mit einer Schwangerschaft auf sich nehmen würde. Ich beschwor sie, keine Kinder zu bekommen und den Rat ihres Arztes zu befolgen. Aber ihr Entschluss stand fest.“ Wehmütig lächelte er. „Und deine Mutter erreichte fast immer, was sie sich wünschte. Ich habe ihre Willenskraft stets bewundert.“
Diese Erklärung versetzte ihr einen neuen Schock. Stets hatte sie geglaubt, ihre Mutter wäre eine sanftmütige, eher unterwürfige Frau gewesen, die allen Forderungen ihres dominanten Ehemanns nachgegeben hatte. Natürlich wusste Cleo nicht viel über die Verstorbene, über die der Vater fast nie gesprochen hatte. Offenbar vermittelte das Portrait, das im Salon über dem Kaminsims hing und eine Frau mit träumerischem Blick und zurückhaltendem Lächeln zeigte, einen falschen Eindruck. Und was für ein Risiko war sie eingegangen?
„Welchen ärztlichen Rat wollte sie nicht befolgen?“, fragte Cleo langsam.
Ihr Vater seufzte. „Sie litt unter abnorm hohem Blutdruck, und bei einer so jungen Frau war das ungewöhnlich. Und da eine Schwangerschaft den Blutdruck plötzlich steigern kann, lagen die Gefahren auf der Hand. Was deine Geburt betrifft, hatten wir Glück. Es gab keine unlösbaren medizinischen Probleme. Natürlich wollte ich das Schicksal kein zweites Mal herausfordern, nachdem wir ein hübsches, gesundes Baby bekommen hatten. Aber deine Mutter war fest entschlossen, noch ein Kind auf die Welt zu bringen.“
Verwirrt schüttelte Cleo den Kopf. Ihre Mutter war also nicht an der Niederkunft gestorben, sondern wegen ihrer schlechten gesundheitlichen Verfassung? Trotzdem hatte sie das Wagnis einer zweiten Schwangerschaft nicht gescheut. „Warum hast du mir das alles nicht schon früher erzählt?“, fragte Cleo zögernd.
„Ich fühlte mich schuldig, weil ich die Bitte deiner Mutter erfüllt und noch ein Baby mit ihr gezeugt hatte. Deshalb glaubte ich, die Verantwortung für ihren Tod zu tragen. Meine Gewissensbisse konnte ich nur bewältigen, indem ich die schmerzlichen Erinnerungen verdrängte, nicht über diese Dinge sprach, nicht einmal daran dachte.“
„Hättest du es mir bloß früher gesagt!“, flüsterte Cleo.
„Das wollte ich ja. Ich nahm mir wirklich vor, dir alles zu erzählen, sobald du alt genug sein würdest, um es zu begreifen. Aber je länger ich wartete, desto schwieriger wurde es. Tut mir leid.“
Müde schüttelte sie den Kopf. „Jetzt will ich erst mal in Ruhe darüber nachdenken. Darf ich eine Weile hierbleiben? Wird das Laura und dir nichts ausmachen?“
„Du bist hier zu Hause und kannst bleiben, so lange du willst.“
Aber Cleo wusste, dass sie bald ausziehen musste. Endlich begann sie, sich von ihrer Kindheit, von der Vergangenheit zu befreien, wenn sie im Augenblick auch keine Zukunft sah.
Während der nächsten Tage kam Cleo sich vor wie in einem Traum. Sie sah Laura wieder und fühlte sich fast gegen ihren Willen zu dieser Frau hingezogen, rief alte Freunde an, konnte aber nicht mit ihnen
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