Julia Extra 0353
und ließ los. Er zog sie ganz ins Zimmer, in seine Arme und gegen sein wild klopfendes Herz. Mit einer Hand hielt er sie fest, mit der anderen streichelte er ihr Haar.
„Was, zur Hölle, machst du hier?“
„Der Fensterladen war lose.“
„Das meinte ich nicht.“ Seine Erleichterung wurde zu Ärger. „Was, zum Teufel, machst du in diesem Zimmer?“
Sie schubste ihn weg und strich über ihr Haar, als wäre nichts passiert. Aber sie zitterte am ganzen Körper und war blass wie ein Geist. „Ich habe nach dem Passwort für deinen Computer gesucht, damit ich mir ein Flugticket buchen kann. Stattdessen habe ich einen Schlüssel gefunden.“
„Und natürlich musstest du sofort hier herumschnüffeln!“
Hinter ihnen schlug der Fensterladen gegen die Wand, und durch das offene Fenster fiel eiskalter Regen ins Zimmer. Raoul seufzte, dann befestigte er zuerst den Fensterladen, bevor er mit einem Ruck das Fenster schloss.
„Du hast mir gesagt, dies wäre nur ein Abstellraum.“
„Das stimmt auch.“
„Du hast mir aber nicht gesagt, was hier aufbewahrt wird. Du hast mir nicht gesagt, dass du hier einen Schrein für deine einzige Liebe errichtet hast.“
„Das denkst du?“
„Was denn sonst? Kein Wunder, dass du mir gesagt hast, du wolltest keine andere Frau. Du hast ja schon eine. Ihre ganzen Fotos, die Erinnerungen, alles ist sicher weggeschlossen, und immer wenn dir danach ist, kannst du herkommen und Zeit mit ihr verbringen. Ich habe nie geglaubt, dass du in dem kleinen Raum neben der Küche schläfst. Hier hast du die beiden ersten Nächte unserer Ehe verbracht, nicht wahr? Zusammen mit den Erinnerungen an eine tote Frau!“
Raoul verfluchte sich selbst. Hatte er wirklich geglaubt, er könnte seine Vergangenheit für immer hinter einer Tür wegschließen? „Du ahnst nicht, wie sehr du dich irrst“, erwiderte er tonlos.
„Ach ja? Du hast mich hergebracht, weil du es nicht ertragen kannst, von ihr getrennt zu sein. Du hast mich zwar geheiratet, aber sobald wir hier waren, konntest du mich nicht länger gebrauchen. Weil in eurer Ehe kein Platz für mich ist. Du hast ja sie!“
„Nein!“
„Weil du sie immer noch liebst.“
„Nein. Du täuschst dich. Falls dieses Zimmer ein Schrein ist, dann nur ein Schrein für meine eigene Dummheit. Etwas, das mich daran erinnert, wie naiv ich war. Ich habe schon vor langer Zeit aufgehört, Katia zu lieben, und zwar, als ich herausgefunden habe, dass sie meine Liebe nicht wert war. In diesem Zimmer hat sie mich betrogen.“
Gabriella sah sich unsicher um. „Katia …?“
„Hierher hat sie ihre Liebhaber gebracht. Dies war ihr geheimes Zimmer, ihr kleines Liebesnest. Sie hatte alles perfekt durchdacht. Es gab sogar einen Notausgang, für den Fall, dass jemand plötzlich unerwartet vor der Tür stehen würde.“
Gabriella sah sich um, dann schüttelte sie zweifelnd den Kopf. „Ich sehe keinen zweiten Ausgang.“
„Draußen vor dem Fenster ist eine Reling – das heißt, dort war eine Reling –, und in den Felsen sind Stufen geschlagen. Bei gutem Wetter ist der Abstieg einfach, aber sehr gefährlich bei Sturm und Regen. Doch das hat ihr nichts ausgemacht. Für sie war das alles nur ein Spiel. Immer wieder hat sie versucht, mich zu überlisten, und sie hat es geschafft. Bis zu der letzten stürmischen Nacht.“
Gabriella schluckte. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, bei diesem Wetter in schwindelerregender Höhe dort draußen zu sein. „Ist Katia hier gestorben? Sind sie und ihr Liebhaber zu Tode gestürzt?“
„Verstehst du jetzt, warum ich die Tür verschlossen halte?“ Raoul versuchte, die Bilder zu verdrängen, aber er sah die Szene so klar vor sich, als wäre es gestern gewesen. Manuel stand schon draußen, Katia drängte ihn zur Eile. Ihre Augen leuchteten vor Erregung, als würde sie den Nervenkitzel genießen. Noch immer hallte ihr helles Lachen durch seinen Kopf.
Er war so wütend gewesen und gleichzeitig wie gelähmt vor Schock. In einem einzigen entsetzlichen Moment zerbrachen seine Welt, seine Träume und seine Liebe.
Sie hatte ihn betrogen.
Sie hatte ihn ausgelacht.
Er hörte, wie Metall auf Stein prallte, hörte Manuels Schrei. Er hörte Katias verzweifelte Schreie, als sie begriff, dass es kein Spiel mehr war. Er brauchte eine Sekunde zu lang, um sich aus seiner Erstarrung zu befreien. Eine Sekunde, für die er den Rest seines Lebens bezahlen würde.
Er wandte sich vom Fenster ab. Schon vor vielen Jahren hätte er die Tür zu
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