Julia Extra 360
Frühlingsabenden, die einen zum Spazierengehen verlockten.
Nur gehe ich selten spazieren, dachte Finn und fragte sich, wie es wäre, richtig verheiratet zu sein und eine Frau zu haben, die mit einem abends durch die Straßen schlenderte und das magische Glitzern der Großstadtlichter bewunderte.
Aber er war nicht richtig verheiratet! Und er war ein Narr, wenn er sich so etwas sehnsüchtig ausmalte. Seine Mutter hatte romantischen Vorstellungen angehangen, die der Wirklichkeit nicht standhalten konnten. Das hatte sie nur unglücklich gemacht.
Nein, ich behalte einen klaren Kopf bei meinen Beziehungen, schwor er sich. Er würde keine Gedanken an so überflüssige Dinge wie Sternenfunkeln und rote Rosen verschwenden.
Das Taxi hielt vor dem Haus, in dem Ellie wohnte. Finn bezahlte, stieg aus und stieg die Stufen zum Eingang hinauf.
Nachdenklich betrachtete er das Namensschild „E. Winston“.
Ihm war bewusst, dass zwischen ihnen schon eine ganz spezielle Bindung herrschte. Es war nicht einfach Freundschaft, sondern mehr. Unerklärlich, undefinierbar.
Während der Besprechung am Vormittag hatte er immer wieder zu Ellie geblickt und sich alles Mögliche gefragt, zum Beispiel, was ihre Lieblingsfarbe war, ob sie den Frühling lieber mochte als den Herbst, ob sie im Bett auf der rechten oder linken Seite schlief.
Aber das alles konnte ihm egal sein! Er hatte mit ihr ja nur ein geschäftliches Abkommen.
Finn ging ins Haus, das so anders war als das, in dem er wohnte. Ellie lebte in einem großen alten Stadthaus, das in Apartments unterteilt worden war. Es hatte eine Klinkerfassade und Blumenkästen mit Stiefmütterchen als ersten Frühlingsboten vor den Fenstern. Die Eingangshalle war mit weißen und schwarzen Fliesen ausgelegt, die Decke aus dunklem Holz, und die geschwungene Treppe hatte ein gedrechseltes Geländer.
Ihm gefiel das Haus mit dem altmodischen Charme. Es hatte etwas sehr Behagliches an sich. Fast wie ein richtiges Zuhause.
Gewöhn dich nicht zu sehr daran!, ermahnte er sich streng. Hier würde er nur vorübergehend wohnen – und niemals zu Hause sein. Selbst wenn er die Schlüssel besaß …
Finn fand Ellie in der Küche, wo sie Geschirr in die Spülmaschine stellte.
„Hallo“, grüßte er.
Es war eine lahme Begrüßung, aber was sagte man zu einer Ehefrau, die keine richtige Ehefrau war?
Sie drehte sich um. „Hallo, Finn! Ich habe schon gegessen, weil ich nicht wusste, was du vorhast und … Aber du brauchst mir nichts zu erklären. Wir sind ja nicht in echt verheiratet.“
Diese Worte waren wie ein Echo auf seine Gedanken. Und nichts als die Wahrheit.
„Ich habe auch schon gegessen“, informierte er sie und stellte seine Sporttasche ab. „Weißt du inzwischen, wann das Gespräch mit den Leuten von der Adoptionsbehörde stattfindet?“
„In zwei oder drei Tagen. Linda muss noch die einzelnen Termine koordinieren.“
„Aha. Gut.“ Je eher das alles vorbei war, desto eher konnte er zu seinem eigenen Leben zurückkehren. Und das wollte er ja. Oder?
„Wir sollten uns also möglichst bald eine überzeugende Geschichte ausdenken“, sagte Ellie. „Falls sie uns eine Menge persönlicher Fragen stellen, darf es ja nicht so aussehen, als ob wir …“
„… uns kaum kennen würden“, ergänzte Finn den Satz.
„Genau. Wollen wir uns auf den Balkon setzen?“ Sie wies auf eine Glastür. „Da können wir den milden Abend genießen – wenn auch nicht so großartig wie auf deiner Dachterrasse.“
Er stimmte zu, und sie goss sich Eistee ein und ihm ein Glas Rotwein, außerdem richtete sie auf einer Platte Käse und Cracker an.
Finn hätte erstens nicht an eine Knabberei gedacht, und wenn, dann hätte er zweitens Kartoffelchips direkt aus der Tüte serviert.
Ellie legte sogar Papierservietten bereit!
„Du denkst wirklich an alles“, lobte er sie.
„Das ist doch nichts Besonderes“, wehrte sie ab. „Nicht so wie der Abend gestern, den du geplant hast.“
„Richtig. Heute ist es nämlich besser.“
Sie lachte. „Ja, klar: Es gibt keine Musik, keine Kerzen und kein Fünf-Gänge-Menü! Nur Käse und Cracker auf einem kleinen Balkon.“
„Von dir persönlich angerichtet, nicht von Fremden“, erklärte er. „Ich habe nun mal kein Talent fürs Behagliche.“
„Ich bin auch keine Superköchin“, warnte Ellie ihn und führte ihn nach draußen auf den Balkon. „Aber wenn es um eine Platte mit Häppchen geht, scheue ich keine Konkurrenz. Du kannst also, wenn ich das
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