Julia Extra 360
einige Fotos legte sie sorgfältig in eine Schublade.
Die Müdigkeit, die ihr die ganze Zeit über in den Knochen gesteckt hatte, wollte sie plötzlich überwältigen. Fast ohne sich dessen bewusst zu werden, streifte sie die Schuhe von den Füßen, rollte sich auf dem Bett zusammen und schloss die Augen …
Emilio fand Gisele erst, nachdem er in mehrere Räume geschaut hatte. Und natürlich fand er sie in dem Zimmer, das am weitesten von seinem entfernt lag.
Im Schlaf sah sie aus wie ein Engel. Ihr Haar war auf dem Kissen ausgebreitet, das Gewicht ihres schlanken Körpers reichte nicht einmal aus, um eine Vertiefung in der Matratze zu schaffen. Ihre Züge waren perfekt, und doch war sie so unglaublich blass, dass sie geradezu ätherisch schien. Wie sollte es ihm gelingen, durch ihre Wand aus Wut und Verbitterung zu dringen? Er würde Stein für Stein abtragen müssen, würde sie Schritt für Schritt wieder für sich zugänglich machen müssen.
Wenn er jetzt zurückblickte, ahnte er, wie völlig am Boden zerstört sie gewesen sein musste, als er sie hinausgeworfen hatte. Damals hatte er ihre Reaktion als die einer geldgierigen Betrügerin interpretiert, deren Plan, sich einen reichen Mann zu angeln, fehlgeschlagen war. Heute jedoch war ihm klar, was ihr Entsetzen bedeutet hatte: Es war das Entsetzen einer jungen Frau gewesen, die tief und wahrhaftig geliebt hatte und deren Leben ohne eigene Schuld von einer Minute auf die andere zerstört worden war.
Wo mochte sie wohl hingegangen sein? An wen hatte sie sich wenden können? Wie schrecklich musste sie sich gefühlt haben, nachdem ihr der Boden ohne jegliche Vorwarnung unter den Füßen weggerissen worden war?
Er hatte sich so fürchterlich geirrt.
Ihre Lider begannen zu flattern, ihr Gesicht verzerrte sich plötzlich, sie wälzte sich, als würde sie in einem Albtraum feststecken, dem sie nicht entfliehen konnte. Ihr gequältes Stöhnen klang herzzerreißend. „Nein … nein, bitte nicht …“
„Gisele, schhh, es ist alles in Ordnung.“ Emilio eilte zu ihr und hielt ihre um sich schlagenden Arme fest.
Erschreckt öffnete sie die Augen und setzte sich abrupt auf. Für einen Moment sah sie verwirrt aus, dann wurde ihre Miene abweisend. „Was hast du hier verloren?“, fragte sie feindselig und zog ihre Hände zurück.
„Ich stelle nur ungern das Offensichtliche heraus, aber das hier ist mein Haus, und du liegst in einem meiner Zimmer.“
Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und sah ihn vorwurfsvoll an. „Du solltest dich nicht so anschleichen.“
„Ich habe mich nicht angeschlichen. Du hast im Schlaf aufgeschrien, ich wollte nach dir sehen.“ Er fasste ihr leicht unter das Kinn. „Hast du öfter Albträume?“
Sie konnte ihm nicht in die Augen schauen. „Manchmal …“
Er strich ihr mit dem Daumen über die Wange. „Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und die letzten beiden Jahre ungeschehen machen. Ich wünschte, ich könnte jedes Wort, das ich dir vorgeworfen habe, ungesagt machen.“
Sie erwiderte nichts, sah ihn nur stumm mit diesem anklagenden Blick an.
„Wo hast du damals eigentlich die Nacht verbracht?“
„In einem kleinen Hotel, nachdem es mir gelungen war, die Reporter abzuschütteln. Am nächsten Tag flog ich nach Sydney zurück.“
„Du hast mich kein einziges Mal kontaktiert.“ Noch immer streichelte er ihre Wange.
„Du hattest es mir ausdrücklich verboten, erinnerst du dich nicht?“
Lange studierte er ihr Gesicht, bevor er die Hand sinken ließ. „Dinner wird in einer halben Stunde serviert.“ Er stand von der Bettkante auf. „Ich sehe dich dann unten.“
5. KAPITEL
Nach dem Duschen schlüpfte Gisele in ein eng anliegendes taupefarbenes Kleid und hohe Pumps. Das Haar schlang sie zu einem Knoten im Nacken, dann legte sie minimal Make-up auf. Sie schaute auf den Diamantring an ihrem Finger. Er war zu weit geworden und saß so locker, dass sich der große Stein immer wieder nach unten drehte und nicht mehr zu sehen war. Ein Omen? fragte sie sich still.
Emilio stand mit einem Aperitif im salone am Fenster, als sie nach unten kam. Er drehte sich zu ihr um und begutachtete sie von Kopf bis Fuß, sein Blick wie eine zärtliche Liebkosung. „Du siehst wunderschön aus“, sagte er lächelnd, und trotz aller Angespanntheit errötete sie bei seinem Kompliment. „Was möchtest du trinken?“
„Weißwein, bitte.“
Er schenkte ein und kam mit dem Glas auf sie zu. Seine Nasenflügel bebten leicht, als
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