Julia Extra 360
tun, damit du es nicht bereust.“
9. KAPITEL
Die Meetings, die Emilio für die nächste Woche arrangiert hatte, um Giseles geschäftliche Visionen voranzubringen, verliefen alle großartig. Sie vermittelten Gisele völlig neue Perspektiven und brachten frische Ideen für ihre Arbeit. Alles passierte so unglaublich schnell, aber sie war froh darum. Sie brauchte die Ablenkung.
Emilio gab sich aufmerksam und zuvorkommend, doch er blieb auf Distanz, wenn sie unter sich waren. Gisele vermutete, dass er längst nicht verdaut hatte, Vater eines Kindes gewesen zu sein, das er nie gesehen hatte. Es fiel ihr schwer, auf ihn einzugehen, teilweise, weil sie Angst hatte, er könnte das Thema auf ein weiteres gemeinsames Kind lenken. Wenn sie mit ihm redete, klang sie steif und gespreizt, aber sie konnte einfach nichts dagegen tun.
Das Medieninteresse legte sich zwar mit der Zeit, war aber noch rege genug, dass Gisele sich unwohlfühlte. Sie kam sich vor wie unter dem Mikroskop, jedes Mal, wenn Emilio und sie zusammen einen geschäftlichen Termin wahrnahmen oder sich in der Öffentlichkeit zeigten. Sie fragte sich, wie wirklich große Berühmtheiten das jeden Tag aushielten. Emilio jedoch schien es lässig hinzunehmen und zudem ein untrügliches Gespür dafür zu haben, wo die Paparazzi lauerten, sodass sie diese Orte meiden konnten. Er führte Gisele in stille Restaurants fernab der Touristenroute aus, in denen das Essen köstlich war und der Wein wie Nektar schmeckte. Und während die Tage vergingen, bekam Gisele mehr und mehr das Gefühl, dass sie den wahren Emilio kennenlernte, den Mann, den er hinter der Maske des erfolgreichen Stararchitekten verbarg. Er bemühte sich auch, offener zu sein, vielleicht weil er spürte, dass sie sich von ihm zurückzog.
Eine Situation verdeutlichte Gisele mit einem Schlag, wer er in Wirklichkeit war. Nach dem Dinner in einem kleinen Restaurant spazierten sie zur Villa zurück, als eine junge Frau, ganz offensichtlich auf Droge, auf Emilio zugetorkelt kam. Ihre Stilettos waren zerkratzt, ihr kurzer Rock zeigte mehr von ihren erschreckend mageren Beinen, als der Anstand gebot. Sie legte eine Hand auf Emilios Brust und lallte etwas auf Italienisch. Er zog ihre Hand weg, hielt sie aber fest in seiner und redete auf die junge Frau ein, wie ein besorgter Vater es bei seiner Tochter tun würde.
Gisele beobachtete die Szene konzentriert. Zwar verstand sie nicht, was gesagt wurde, aber sie konnte sehen, dass Emilio der jungen Frau keine Vorwürfe machte, sondern sie zur Seite zog, ein Stück weg von den Passanten, und sich ernst mit ihr unterhielt, bevor er sein Handy hervorholte und die Hotline seiner Organisation anrief. Innerhalb weniger Minuten fuhr ein Transporter vor, ein junger Sozialarbeiter stieg aus und half dem Mädchen in den Wagen, offensichtlich, um sie zu einer der Auffangstellen zu bringen.
Sobald der Transporter abgefahren war, ging Gisele zu Emilio und hakte sich bei ihm ein. „Du kanntest sie.“
Er stieß zischend die Luft durch die Zähne. „Ja. Sie heißt Daniela. Sie hat drei Entziehungskuren bei uns hinter sich, aber sie wird immer wieder rückfällig. Sie hat die falsche Familie, die falschen Freunde und die falsche Meinung über sich.“ Besorgt sah er Gisele an. „Ich habe Angst, dass ich sie eines Tages tot in einer düsteren Gasse finde. In der Statistik wird sie dann als eine weitere Überdosis stehen.“ Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Am meisten reibt mich auf, dass sie eigentlich alles erreichen könnte. Sie ist intelligent und hübsch, und doch ist sie hier gelandet. Wie kann ich sie davon abhalten, sich selbst zu zerstören? Weißt du eigentlich, wie viele junge Frauen wie sie es da draußen gibt? Manche haben sogar Kinder.“
So wie er wohl eines dieser Kinder gewesen war, wie sie einer seiner Andeutungen entnommen hatte. In der letzten Woche hatte sie versucht, mehr hinauszufinden, doch ganz offensichtlich wollte er nicht über seine Kindheit reden. „Du tust, was du kannst, Emilio, um zu helfen. Ich kenne niemanden, der so viel tut wie du.“
„Und doch reicht es nicht.“ Aufgewühlt lief er hin und her. „Es reicht einfach nicht!“
Sie ging zu ihm und schlang von hinten die Arme um seine Hüfte. Frustration hatte ihn steif und starr gemacht, doch langsam wich die Anspannung aus ihm. Als er sich zu ihr umdrehte, lag ein Ausdruck in seiner Miene, als hätte er einen Entschluss gefasst, mit dem er lange hatte ringen müssen. „Komm,
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