Julia Extra Band 0198
Mutter, mit der man über alles reden konnte, keineswegs ein Ungeheuer. Nein, sie war nicht wie ihr Vater. Kelly konnte mit jedem Problem zu ihr kommen.
Aber bei dem Thema “Jungen” blockte sie seltsamerweise sofort ab. Sie konnte noch nicht einmal den Gedanken ertragen, dass ihr vierzehnjähriges Mädchen Interesse am anderen Geschlecht entwickelte, geschweige denn darüber diskutieren. Sie hatte das Thema einfach abgeschmettert und Kelly mehr oder weniger den Mund verboten.
Und wenn schon! Alle verantwortungsbewussten Eltern hätten so reagiert! Mit vierzehn war man noch ein halbes Kind! Keinesfalls reif genug, um Entscheidungen zu treffen, die möglicherweise das ganze Leben verändern konnten.
Bis jetzt hatte Kelly sich an den verhängten Hausarrest gehalten. Wenn Freundinnen anriefen und sie einluden, mit ins Kino oder in die Stadt bummeln zu gehen, hatte sie jedes Mal abgelehnt. Aber wenn Kelly ihre Mutter ansah, erkannte Julia in den Augen ihrer Tochter tiefe Feindseligkeit und Unversöhnlichkeit, und das alarmierte Julia. Konnte sie denn nichts tun, um die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken?
Sie nahm wieder den Bleistift zur Hand und bemühte sich um Konzentration, den Blick auf die Zahlenkolonnen vor sich gerichtet. Diese Zahlen hatten etwas Reelles, die konnte sie kontrollieren.
Als das Telefon läutete, zuckte sie erschreckt zusammen. Aber ein zweites Klingeln ertönte nicht, Kelly musste also bereits am anderen Apparat abgenommen haben. Sicher wieder eine von Kellys Freundinnen. Falls es ein Kunde sein sollte, würde Kelly ihr den zweiten Apparat hinunterbringen, dessen war Julia absolut sicher.
Sie wandte sich wieder den Zahlen zu, als die Tür zum Büro aufgeschoben wurde.
“Was ist denn, Kelly?”, fragte Julia. Bildete sie sich dieses neugierige Blitzen in Kellys Augen nur ein?
“Der Anruf ist für dich. Ein Mann.”
“Ja, gut.” Julia nahm das schnurlose Telefon von Kelly entgegen. “Sicher ein Kunde des Partyservices.”
Immer noch lag ein seltsam fragender Ausdruck in Kellys Blick. “Glaube ich nicht.”
Julia runzelte die Stirn. “Wieso nicht?”
Kelly zuckte die Schultern. “Weiß nicht. Irgendwas an seiner Stimme ist anders.”
Für einen Moment schaute Julia Kelly noch zweifelnd an, dann sprach sie mit geschäftsmäßig-freundlichem Ton in die Muschel. “Julia Jones.”
“Hallo, Julia …”
Es bestand gar nicht die Notwendigkeit, dass er seinen Namen nannte. Ryan Shanes samtene, dunkle Stimme hatte ihre Träume beherrscht, ihr nächtliche Fantasien eingehaucht, sie zum Wahnsinn getrieben.
“Ryan Shane”, hörte sie ihn trotzdem sagen.
“Ja.” Da Kelly immer noch wie angewurzelt vor ihrem Schreibtisch stand und auch keinerlei Anstalten machte, sich diskret zurückzuziehen, fühlte Julia sich seltsam gehemmt. “Wie geht es Ihnen?”, fragte sie belegt. Warum, zum Teufel, zitterte ihre Hand nur so?
“Danke der Nachfrage, gut”, hörte sie ihn vergnügt lachen. “Aber um ehrlich zu sein, es könnte mir besser gehen.”
Hörte sie da etwa so etwas wie Nervosität aus seiner Stimme heraus? Aber vielleicht kam ihr das ja nur so vor, weil sie selbst so nervös war. Und weil sie viel zu sehr damit beschäftigt war, dieses flaue Gefühl, das sein Lachen in ihr auslöste, zu ignorieren.
Schließlich musste sie sich beherrschen. Unter keinen Umständen durfte sie ihre Tochter sehen lassen, was die Stimme dieses Mannes mit ihr anstellen konnte. Sie konzentrierte sich auf seine letzte Äußerung. “Nun, Ryan …” – in dem Moment, als sie seinen Namen nannte, erkannte sie aus den Augenwinkeln, dass Kelly ihren Platz verlassen hatte und näher kam – “… stimmt irgendwas nicht? Kann ich irgendetwas für Sie tun?”
Jetzt stand Kelly direkt neben ihr und beugte sich ungeniert zum Telefon hinunter, um so viel wie möglich von diesem äußerst interessanten Gespräch, das ihre Mutter so aus der Fassung zu bringen schien, mitzubekommen.
“Um genau zu sein – ja.”
Der böse Blick, den sie Kelly zuwarf und mit dem sie sie eindeutig aufforderte, ihr mehr Privatsphäre zu lassen, wurde geflissentlich ignoriert.
“Ich würde Sie gern einladen, morgen Abend mit mir auszugehen.”
Julia hatte gerade die Hand erhoben, um Kelly wegzuscheuchen, doch in dem Moment, als ihr klar wurde, was Ryan da gesagt hatte, ließ sie sie schlaff wieder fallen. “Entschuldigung, was sagten Sie?”
“Ich bin zu einer Party morgen Abend eingeladen, und ich möchte Sie bitten,
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