Julia Extra Band 0198
halten, wenn ihr Sohn einem vierzehnjährigen Mädchen dabei hilft, nachts aus dem Fenster zu steigen.”
“Ich bin nicht aus dem Fenster gestiegen!”, fauchte Kelly gereizt. “Ich bin nur durchs Fenster hineingeklettert!”
“Ich werde nicht über Spitzfindigkeiten mit dir diskutieren. Ich will den Namen des Jungen. Sofort! Ich werde seine Eltern anrufen und …”
Kelly riss verzweifelt die Augen auf. “Das kannst du nicht tun!”
“O doch, junge Dame. Ich kann, und ich werde.”
“Aber Mom …”
Die aufsteigenden Wuttränen in den Augen ihrer Tochter brachten Julias Entschluss keinen Moment ins Wanken.
“Mom, er wird mich auslachen! Er wird es überall herumerzählen! Du blamierst mich vor allen!”
“Das ist eigentlich unwichtig, meinst du nicht auch? Da du den Rest deines Lebens hier in diesen vier Wänden verbringen wirst.”
“Na schön, dann gib mir eben auf ewig Hausarrest. Von mir aus! Aber du darfst Tylers Eltern nicht anrufen!” Kelly flehte ihre Mutter mit den Augen an. “Jeder wird über mich lachen.”
“Das hättest du dir vorher überlegen sollen.” Julias Gesicht wurde hart. “Bevor du betrügst und lügst.” Die Wut hatte die Überhand gewonnen. “Du solltest dich schämen. Sich nachts wie ein billiges kleines …”
Wie durch einen Nebel hörte sie ihre eigene Stimme und schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund. Das waren nicht ihre Worte, nicht ihre Meinung, ihre Gedanken. Es waren seine. Er hatte immer Worte als Waffe benutzt, um andere zu erniedrigen, zu beleidigen, sie klein zu machen. So sollte Kelly sich niemals fühlen, das hatte Julia sich geschworen. Es reichte, dass sie es damals hatte durchmachen müssen.
Sie wischte sich über das Gesicht. “Es tut mir leid, Kelly.” Ihre Stimme klang rau wie Sandpapier. “Ich denke, wir sollten besser morgen darüber weiterreden. Jetzt sollten wir beide uns erst einmal beruhigen.” Julia drehte sich zur Tür und wollte das Zimmer verlassen.
“Nein!”
Bei dem scharfen Ton ihrer Tochter drehte sie sich abrupt wieder um.
“Ich will jetzt darüber reden! Ich will wissen, was so verkehrt an dem ist, was ich getan habe!”
Die Wut hatte sie erschöpft. Julia schaute mit leerem Blick auf Kellys tränenüberströmtes Gesicht. “Du bist mit diesem Jungen ins Kino gegangen, obwohl ich es dir ausdrücklich verboten hatte. Du hast mich angelogen und absichtlich getäuscht. Du hast die Regeln gebrochen, Kelly.”
“Was willst du eigentlich von mir?”
Die verzweifelt hervorgestoßene Frage, begleitet von Schluchzern und Tränen, rührte an Julias Herz, aber sie blieb hart. “Ich will, dass du ehrlich bist. Ich will wissen, dass ich dir vertrauen kann. Wenn du sagst, du bleibst zu Hause, dann will ich sicher sein, dass du auch wirklich zu Hause bist. Ich will, dass du das Richtige tust. Ich will, dass du dich an die Regeln hältst.”
“Immer nur Regeln!” Kelly warf die Puppe, die sie die ganze Zeit im Arm gehalten hatte, wütend zur Seite. “Ich soll keinen Spaß haben, das ist alles, was du willst! Du willst, dass ich genauso werde wie du!”
Julia runzelte die Stirn. “Was soll das heißen?”
“Du arbeitest zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Wenn du nicht gerade für jemanden kochst, besorgst du Zutaten oder versuchst jemanden zu überreden, für dich zu werben. Du tust überhaupt nichts, was Spaß macht. Du unternimmst nichts mit mir.”
“Wie kannst du so etwas sagen?” Julia schüttelte perplex den Kopf. “Natürlich unternehmen wir Dinge zusammen.”
“Was denn?”, fragte Kelly herausfordernd. “Kochen? Oder meinst du, weil wir Kekse mit seltsamen Füllungen zusammen backen? Wir haben natürlich auch schon mit ein paar komischen Gemüsen herumexperimentiert. Und wir backen auch Brötchen zusammen. Allerdings für andere Leute. Nennst du das etwa Spaß?”
Ja. Julia liebte es zu kochen, liebte es, auf Großmärkten und in Delikatessenläden zu stöbern. Sah Kelly das denn nicht?
“Wie kannst du mir deine Regeln aufzwingen?”, fuhr Kelly erregt fort. “Du hast keinen Spaß, du hast keine Freunde. Du gehst niemals aus. Wie kannst du bestimmen, wie mein Leben aussehen soll, wenn du noch nicht einmal ein eigenes Leben hast?”
Julia schwieg betroffen.
“Gold Ribbon ist nicht das Leben!”, schrie Kelly jetzt. “Ich will nicht so werden wie du! Du bist öde und langweilig! Dein Leben ist langweilig! Ich will deine blöden Regeln nicht befolgen! Und ich werde sie nicht befolgen!
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