Julia Extra Band 0198
Enttäuschung und fürchterliches Leid.
“Doch, du kannst, Julia.” Seine Stimme klang so verständnisvoll, so beruhigend, so zuversichtlich. “Was immer es ist, du kannst es nicht auf ewig in deinem Innern an dir fressen lassen. Das ist nicht gut, es ist ungesund.” Er hielt kurz inne. “Und es ist nicht fair, nicht dir selbst gegenüber und auch nicht den Leuten gegenüber, denen an dir liegt.”
“Ich habe Angst.”
Dass Julia zugab, Angst zu haben, war ein erster Schritt. Ryan fühlte, wie sich ein tiefes Gefühl für sie in ihm regte. Und dann wurde ihm bewusst, dass er genau diese Art von Angst kannte – die Angst vor der Intimität mit einem anderen Menschen, die Angst vor dem Verletztwerden, wenn man sich einem anderen Menschen öffnete, wenn man sein Innerstes preisgab. Er wusste, dass er ihrer Beziehung genau in diesem Augenblick eine andere Qualität gegeben hatte. Das Band zwischen ihm und Julia wurde stärker. Aber es war ihm auch ernst damit, als er gesagt hatte, dass er sie mochte.
“Du brauchst keine Angst zu haben.” Er legte die Arme um sie und zog sie an seine Brust.
Lange blieb sie still, doch er konnte warten. Und endlich, endlich hob sie nach einem tiefen Atemzug stockend an:
“Es … es fing alles vor langer Zeit an, noch vor Kellys Geburt. Meine Mutter starb, als ich noch ein Baby war. Mein Vater zog mich allein groß. Er war …” Sie schluckte und suchte nach dem passenden Wort. “Er war sehr streng, erdrückend behütend. Er verbot mir, mich mit Jungen zu verabreden, ich durfte noch nicht einmal Spielkameraden haben, die Jungen waren.”
Ryan konnte nicht umhin, die Parallele zu Kelly zu bemerken. Irgendwie musste er sich bei dem Gedanken wohl verspannt haben, denn Julia drehte sich in seinen Armen und sah ihm ins Gesicht. “Ich weiß, was du jetzt denkst. Du denkst, ich mache das Gleiche mit Kelly, was mein Vater mit mir gemacht hat. Aber das stimmt nicht. Kelly ist erst vierzehn, sie …”
Er sah in ihr bleiches Gesicht, in die großen Augen, die so verteidigend dreinblickten. “Entspann dich. Ich maße mir überhaupt kein Urteil an. Außerdem haben wir doch über dich geredet, nicht über Kelly.”
“Aber ich will, dass du den Unterschied verstehst. Ich war siebzehn, fast erwachsen. Ich durfte nicht mit Jungen am Telefon reden, ich durfte sie nicht nach Hause einladen. Es war wie im Mittelalter. Der Himmel weiß, was geschehen wäre, hätte ich um Erlaubnis für eine Verabredung gefragt. Wahrscheinlich hätte mein Vater einen Herzinfarkt bekommen …” Sie brach abrupt ab.
Ryan spürte, dass sie starr wie ein Stock in seinen Armen geworden war. Er drückte sie leicht an sich. “Was ist denn?”
“Er hat einen Herzinfarkt bekommen”, flüsterte sie erstickt. “Ich habe bei meinem Vater einen Herzinfarkt herbeigeführt …”
Ihr Schmerz schnitt ihm ins Herz. “Aber Julia, das ist doch …”
“Nein, es stimmt, glaube es mir.” Sie griff seinen Arm, als müsse sie sich daran festhalten. “Ich war eine schreckliche Tochter. Ich habe mich aus dem Haus geschlichen. Oft. Um mit einem Jungen zusammen zu sein. Einem Jungen, der behauptete, er würde mich lieben.” Ihr Griff wurde noch fester. “Ich war jung und dumm. Ich habe ihm geglaubt.”
Sie drehte sich wieder in seinen Armen und lehnte sich mit dem Rücken an seine Brust, um ihre Geschichte weitererzählen zu können. “Ich wurde schwanger.”
“Ach, Julia, süße Julia …” Ryan legte seine Wange an ihr Haar, um sie zu trösten. Aber er wusste, nichts, was er sagen würde, würde ihr diesen Schmerz, den sie bei den Erinnerungen fühlte, nehmen können.
“Es war der schlimmste Tag meines Lebens, als ich Kellys Vater sagte, dass wir ein Baby erwarteten …”
Ryan spürte eine einzelne Träne, die auf seine Hand tropfte. Sie weinte, und er konnte nichts anderes tun, als sie festzuhalten, ihr so viel Trost zu bieten, wie ihm möglich war.
“Er lachte nur. Lachte mir ins Gesicht. Sagte, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Dass das Baby ihn nichts anginge. Er wollte sich sein Leben nicht durch mich ruinieren lassen.” Sie zog rasselnd den Atem ein. “Er wollte mich zu einer Abtreibung zwingen. Und falls ich je verlauten lassen sollte, dass er der Vater dieses Babys sei, würde er einen Eid schwören, nie mit mir geschlafen zu haben.”
Ihr stummes Schluchzen zerriss ihm das Herz. “Julia, er war noch jung. Und unreif. Er wusste nicht, was er sagte, was er dir und Kelly
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