Julia Extra Band 0258

weißen, von Palmen gesäumten Sandstrände, wie man sie aus Reiseprospekten kannte. Aber sie hatte ihn ganz für sich allein. Er gehörte zu der wunderschönen Villa, die sich über der Bucht erhob und die Leo gehörte.
    Dass er sie gekauft hatte, konnte sie gut verstehen.
    Denn nicht nur die Villa, das ganze Fleckchen Erde war absolut idyllisch. Genau wie der Strand entsprach auch die Villa dem Traum eines jeden Reisebüros. Das grüne Dach, die weißen Wände, die umlaufende Veranda, die Palmen am Strand, das kristallklare Wasser, rosa und lila blühende Kletterpflanzen, der türkis glitzernde Pool.
    Sehr, sehr idyllisch.
    Immer wieder blieb Anna stehen und sah auf das Meer hinaus. Obwohl der Himmel noch blau erstrahlte, verriet ihr ein Blick auf die Uhr, dass in Kürze die Nacht wie ein schwarzes samtenes Tuch hereinbrechen würde.
    Und sie würde Leo Makarios mit sich bringen.
    Den ganzen Tag hatte sie ihn nicht zu Gesicht bekommen. Trotz ihrer Unruhe hatte sie lange geschlafen. Während sie auf dem Balkon gesessen und gefrühstückt hatte, machte sie sich die beißende Ironie ihrer Situation bewusst. Sie saß in einer karibischen Idylle – und doch würde sie heute Nacht vorsätzlichen gefühllosen Sex haben. Sex mit einem Mann, mit dem sie keinen Sex haben wollte, einem Mann, der sie für eine Diebin hielt, einem Mann, den sie bereits einmal aus ihrem Schlafzimmer geworfen hatte, was sie hier leider nicht wiederholen konnte.
    Vorsätzlichen gefühllosen Sex.
    Sie zwang sich, diese Worte in ihrem Kopf zu wiederholen.
    Plötzlich stieg Panik in ihr auf.
    Ich muss ihm die Wahrheit sagen! Muss ihm sagen, dass nicht ich das Armband gestohlen habe, sondern Jenny, und dass sie es nur getan hat, weil sie schwanger ist und Todesängste aussteht – weil sie sich mit einem Mann eingelassen hat, neben dem Mr. Leo Makarios wie ein kleines Kätzchen aussieht.
    Trotz des wärmenden Sonnenlichts schüttelte plötzlich eine Eiseskälte ihren Körper. Wie verzweifelt auch immer sie war, sie konnte Leo Makarios nicht die Wahrheit sagen. Das Risiko war zu groß. Als Frau mochte sie sich automatisch auf Jennys Seite stellen, aber wer wusste schon, was ein reicher mächtigerMann wie er dachte? Vielleicht war er der Meinung, dass Jenny gar keine Gnade verdiente. Nach allem, was er über Vanessa gesagt hatte, und wie er seinen Cousin vor ihr zu schützen gedachte, hielt er es wahrscheinlich durchaus für möglich, dass Jenny absichtlich schwanger geworden war und sich einen reichen Mann gesucht hatte, um so an sein Geld zu kommen – und dass ein so schändlich missbrauchter Mann durchaus das Recht hatte, ihr das Baby wegzunehmen. Nein, er würde es nicht verstehen, daran bestand kein Zweifel.
    Was bedeutete, dass er sie weiterhin für die Diebin halten musste. Nur so konnte sie Jenny beschützen. Und das hieß, dass sie tatsächlich ertragen musste, was Leo Makarios mit ihr im Sinn hatte.
    Sex.
    Bei dem Gedanken stieg Ekel in ihr auf.
    Aber dann rief sie sich ein Wort ins Gedächtnis: Selbstachtung.
    Viele Menschen konnten damit nichts anfangen, das wusste sie. Vor allem in der Modewelt behandelten die Männer die Körper der Frauen als Ware – und umgekehrt war es nicht anders, das musste sie zugeben. Ohne lange nachdenken zu müssen, hätte sie ein halbes Dutzend Models aufzählen können, die Leo Makarios’ Angebot für das Paradies auf Erden gehalten hätten.
    Aber ich bin keine von denen!
    Noch während sich ihr Protest im Kopf formte, sprach eine andere Stimme. Und zwar mit tödlicher gnadenloser Gewalt.
    Aber du wirst eine von ihnen werden. Denn Leo Makarios wird dich genau darauf reduzieren. Während er dir die Kleider auszieht, wird er dir auch deine Selbstachtung nehmen.
    Immer noch blickte sie auf das Meer hinaus, doch das Herz wurde ihr dabei schwer.
    Trotz alledem konnte sie nicht das Baby ihrer Freundin opfern, um ihre Selbstachtung zu retten.
    Ich muss es tun.
    Denn immerhin, dachte sie, könnte die Wahl auch Gefängnis lauten. Würdest du immer noch zu deiner Freundin stehen, wenn du Jahre deines Lebens verlörest?
    Was sind dagegen schon ein paar Tage … und ein paar Nächte?
    Warum regst du dich also über Leo Makarios’ Angebot so auf?
    Weil Leo Makarios gefährlich war. Das hatte sie gewusst, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Und jede Begegnung mit ihm hatte es ihr erneut bewiesen. Vor allem die in ihrem Schlafzimmer.
    Die Wogen der Erinnerung rissen sie mit sich. Und plötzlich war sie wieder dort,