JULIA EXTRA BAND 0262
aufreibend, nach fünf Jahren wieder mit ihm allein zu sein. Alles an ihm war ihr vertraut und gleichzeitig fremd. Außerdem wirkte er verändert. Er hatte abgenommen und dafür ein paar Fältchen mehr. Entschlossenheit und eine Art verstohlener Wachsamkeit waren an die Stelle seines Humors und Charmes getreten.
Ungerührt betrachtete er sie, registrierte Erins weichen weißen Kaschmirpullover und die eleganten schwarzen Caprihosen. Solche Kleider hätte sie sich vor sieben Jahren noch nicht leisten können, als sie sich kennengelernt hatten.
„Du trägst heute Abend ja gar keinen Schmuck“, bemerkte er.
Erin überraschte, dass es ihm auffiel. Sie hob die Hand, die ohne Ring war, und berührte ihre Ohrläppchen. „Kurz vor dem Schlafengehen ist das ja auch nicht nötig.“ Außerdem muss ich niemanden beeindrucken.
Noch immer sah er sie unverwandt an. „Also, wie geht’s dir? Was macht dein Geschäft?“
„Alles läuft gut. Die Firma ist sehr erfolgreich.“
„Ist deine Schwester immer noch deine Partnerin?“
„Ja, und wir haben sogar expandiert. Angie und ich kümmern uns noch immer um das Design. Aber für den Verkauf haben wir jetzt mehrere Mitarbeiter.“
Sie war froh über die Gelegenheit, Luke demonstrieren zu können, wie erfolgreich sie geschäftlich war – auch wenn sie über ihr Privatleben nicht dasselbe sagen konnte. „Stell dir vor, wir haben gerade einen Vertrag mit Candia Hart abgeschlossen. Hast du von ihr gehört? Sie ist einer der Stars in der australischen Modewelt. Sie steht auf unsere Sachen, und ich werde sie hier in Sydney treffen, um mit ihr über die Accessoires zu sprechen, die wir nächsten Frühling für ihre Show in New York entwerfen sollen.“
Luke schien davon beeindruckt zu sein. „Wahrscheinlich werdet ihr bald einen Laden in der Fifth Avenue eröffnen.“
„Kann sein.“
„Ich wusste ja gar nicht, dass die Nachfrage für Buntstifte an einer Kette so groß ist.“
Mistkerl. Früher hatte ihm der trockene Humor gut gestanden. Aber heute Abend war davon nichts zu merken.
„Wir haben unsere Kollektion erweitert“, erwiderte sie gepresst. Dann zeigte sie auf den großen Raum. „Sieht so aus, als hätte sich dein Geschäft auch gut entwickelt. Sonst könntest du dir kaum leisten, in Fünf-Sterne-Hotels zu übernachten und dir ein zweimotoriges Flugzeug zu kaufen.“
Er nickte, ging aber nicht weiter auf das Thema ein. Stattdessen sagte er: „Lass uns doch jetzt mal über diese Grundregeln reden.“
„Ja, gut.“ Sie räusperte sich nervös. „Also, von Regeln würde ich nicht direkt sprechen. Eigentlich wollte ich dir etwas über Joey erzählen, damit wir ihm gegenüber denselben Kurs einschlagen.“
Sie machte eine kleine, erwartungsvolle Pause, doch wieder nickte Luke nur kurz. Sein distanzierter Blick forderte Erin heraus. Sie war fest entschlossen, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.
„Schieß los!“, sagte er.
„Okay. Bestimmt ist dir doch schon aufgefallen, dass er eine Menge Fragen stellt.“
Er nickte erneut, ohne zu lächeln.
„Darauf musst du dich einstellen. Auch in Warrapinya wird er dich mit tausend Fragen löchern, besonders über … über uns.“
„Was ist mit uns?“
„Es geht um den Grund für unsere Trennung.“ Sie strich leicht über die gepolsterte Armlehne des Sessels. „Davon scheint er gar nicht genug hören zu können. Jedenfalls fragt er mich immer wieder danach.“
„Ja, aber warum?“, fragte Luke scharf. „Konntest du ihm keine befriedigende Antwort darauf geben?“
„Ich … ich habe jedenfalls mein Bestes versucht.“
„Und er will unbedingt wissen, warum wir uns getrennt haben?“
„Ja, ich nehme an, zum einen, weil er etwas verstehen will. Aber er testet auch immer aus, ob ich ihm dieselbe Antwort gebe.“ Nervös fuhr Erin fort. „Manchmal stellt er die schwierigsten Fragen, wenn es mir gerade überhaupt nicht passt. Zum Beispiel, wenn ich im Supermarkt in der Schlange stehe. Oder wenn ich ihn zur Schule bringe.“ Da Luke sie mit so offensichtlichem Widerwillen ansah, setzte sie noch hinzu: „Oder wenn ich ein Rendezvous habe.“
Als Luke zusammenzuckte, spürte Erin einen kleinen Stich des Triumphes. Aber dann wünschte sie sich plötzlich, die letzte Bemerkung zurücknehmen zu können. Sie wollte Luke gegenüber vor allem reif und erwachsen wirken.
Er setzte sich anders hin und verschränkte die Arme vor der Brust. „Gut, wie lautet also die Antwort? Was sagst du dem Jungen, wenn er
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