JULIA EXTRA BAND 0273
Küche. Santino hatte Kate bereits vorgewarnt, dass es dort temperamentvoll zuging. Übertrieben hatte er keineswegs. Denn dort brüllte jederjeden an. Wenn die Kellner dazukamen, wurden die hitzigen Diskussionen noch lauter. Deshalb musste jeder, der sich Gehör verschaffen wollte, ebenfalls rufen.
Weil sich das Studiofest spontan ergeben hatte, konnten sie nicht als geschlossene Gesellschaft feiern. Neben der Crew aßen hier auch andere Gäste. Allerdings nahm das Filmteam separate lange Tische ein, auf denen Sektkübel, große Krüge voll Eiswasser und Weinflaschen standen.
„Ach, Kate, da bist du ja!“ Caddy gab Kate zur Begrüßung auf jede Wange ein Küsschen, während sie ihren Produzenten anlächelte. „Wir sind eben erst angekommen. Sie müssen ja mit Windgeschwindigkeit gefahren sein, Santino.“ An Kate gewandt, sagte sie: „Na, wie findest du es hier? Ist es nicht herrlich?“
Von dem Lärm um sich herum fühlte Kate sich wie betäubt. Einen Moment lang sprachlos, lächelte sie nur. Sie wusste, dass sie sich dringend entspannen musste. Irgendetwas hinderte sie daran.
„Ich dachte mir, dass es Ihnen hier gefällt“, sagte Santino. „Ein bisschen ländlich und sehr typisch für die Gegend.“
„Ja“, murmelte Kate. Ohne zu wissen, wonach sie suchte, sah sie sich nervös um. Was war bloß los mit ihr?
Es ist zu albern, wirklich, wies sie sich zurecht. Was Santino sagte, stimmte. Das Lokal war hübsch, sehr hübsch sogar. Und wie könnte es ihr auch nicht gefallen, wenn er sie, eine Hand angenehm auf ihrem Rücken, durch das Gewühl lotste? Wenn die an sich harmlose Berührung sich bloß nicht ganz so gut anfühlen würde … Könnte es Kate nur leichterfallen, sich allein auf den Job zu konzentrieren …
Sie war nicht hier, um mit Santino zu flirten. Ich sollte die neue Regisseurin Diane Fox kennenlernen und mich um Caddy zu kümmern, ermahnte sie sich. Wo war Diane Fox eigentlich? Und Caddy konnte Kate weit und breit nicht entdecken.
Sie hatten die Tische, an denen die Filmcrew sich versammelt hatte, fast erreicht. Plötzlich stand Caddy wieder neben ihr und berührte sie an der Schulter. Im selben Moment hielt Kate wie erstarrt den Atem an.
„Na, was sagst du jetzt, Kate?“
Caddys Frage hörte sich an, als käme sie von sehr weit her. Kate brachte keinen Ton hervor. Wie betäubt sah sie ans andereEnde des Raums, von wo aus ein kleines Mädchen angerannt kam, um seine Mutter zu begrüßen.
Santino sah ungläubig von einem zum anderen. Obwohl er sich alle Mühe gab, gelang es ihm nicht auf Anhieb, die Zusammenhänge zu begreifen. Währenddessen kam eine ältere Frau auf sie zu, um sich zwischen ihn und Kate zu stellen. Sie wirkte wie eine Künstlerin. Die sanften grauen Augen blickten freundlich, doch auch besorgt. Das konnte nur Kates Tante Meredith sein. Aber wo zum Teufel kam die plötzlich her?
„Oh, Kate!“, rief die Frau leise aus, wobei sie Kate eine Hand auf den Arm legte. „Es tut mir so leid. Ich wollte dich nicht erschrecken, wirklich. Ich weiß, ich hätte dich vorwarnen sollen. Aber dann ging plötzlich alles so schnell. Eigentlich war es ja Caddys Idee. Sie hat erzählt, dass du so bedrückt wirkst, und da dachte ich … da dachte ich, du hast vielleicht … Du meine Güte, ich habe doch hoffentlich nichts falsch gemacht?“
Santino musterte immer noch die ältere Frau, während ein hübsches dunkelhaariges Mädchen von etwa vier Jahren auf Kate zugestürmt kam und sich in ihre Arme warf. Als er über den glänzend schwarzen Locken des Kindes Kates Blick begegnete, wurde ihm schlagartig alles klar.
Kate, inzwischen bedenklich blass, drückte die Kleine fast verzweifelt an sich. Er erkannte die Angst in ihren grauen Augen, und es zerriss ihm schier das Herz. Gleichzeitig hatte Santino das Gefühl, in eine bodenlose Tiefe zu stürzen.
Wachsam, aber auch neugierig, hob das Mädchen den Kopf und musterte ihn eingehend aus großen Augen. Dann steckte die Kleine den Daumen in den Mund und schmiegte sich noch enger an ihre Mutter. Währenddessen zogen sich Caddy und Meredith zurück. Vage dachte Santino daran, dass hier Leute versammelt waren, die etwas von ihm erwarteten. Das spielte jetzt keine Rolle mehr.
Kate küsste ihre Tochter inbrünstig auf die schwarzen Locken. Seine Tochter! Großer Gott, ja, das war seine Tochter! Daran konnte es nicht den geringsten Zweifel geben. Da stand sein Kind vor ihm, die Kleine war von Kopf bis Fuß eine Rossi. Der bräunliche Teint,
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