JULIA EXTRA BAND 0273
nachvollziehen konnte, teilte er sie nicht.
Nachdenklich lehnte er sich in seinem Sessel zurück und betrachtete seinen Bruder. Schon immer waren sie sehr verschieden gewesen, doch in den vergangenen Jahren hatten sie sich sehr weit auseinanderentwickelt. Und er wusste nicht, ob ihm der Weg, den das Leben seines Bruders genommen hatte, gefiel.
3. KAPITEL
Die Füße auf einem Stuhl, so ruhte Daniel auf dem viel zu kleinen roten Sofa. Sein Magen knurrte, doch die halb aufgegessenen Pommes frites auf dem Tisch waren längst kalt. Sehr deutlich zeugten die Papiere, Telefonlisten, Visitenkarten und anderen Geschäftsunterlagen, die im Dunkeln auf dem Tisch lagen, von den Anfängen seiner Firma. Er sollte zufrieden sein. Doch er war es nicht.
Bis auf ein paar kurze Unterhaltungen hatte Stephanie Ellison es vermieden, mit ihm allein zu sein. Wenn er sie im Restaurant traf, war sie sehr freundlich. Sie lächelte sogarüber seine Witze und brachte ihm einen Drink. Doch sie blieb noch lange nach Restaurantschluss unten.
Und Daniel wollte wissen, warum. Dies war ihre Wohnung. Sie sollte sich hier wohl fühlen, selbst wenn er da war. Am schlimmsten war, dass er sich wie ein Eindringling vorkam. Dieses Gefühl kannte er von früher, wenn seine Mutter Freunde mit ins Hotelzimmer gebracht hatte und ihre kleinen Söhne sich möglichst still verhalten mussten.
Heute Nacht würde er auf seinen kleinen Workaholic warten.
Als Stephanie die Wohnung betrat und das Licht einschaltete, sah Daniel ihr entgegen.
„Weichen Sie mir aus?“
Erstaunt sah sie ihn an, ihre makellose Hand ruhte noch auf dem Lichtschalter. Ganz offensichtlich erschreckte es sie, dass er noch wach war und hier in der Dunkelheit gesessen hatte. „Wie bitte?“
„Sie haben mich verstanden.“
Stephanie antwortete nicht. Stattdessen sah sie sich in dem chaotischen Wohnzimmer um und begann aufzuräumen.
„Hören Sie auf damit.“
Ungerührt machte sie weiter Ordnung. „Meine Güte, Sie haben aber eine Laune. Was ist das Problem?“
„Sie.“ Im Grunde genommen war sie nicht das einzige Problem. Aber vielleicht das, das er am ehesten lösen konnte.
Gerade entsorgte sie die kalten Pommes frites. „Und was habe ich Schreckliches verbrochen?“
„Sie verlassen in aller Herrgottsfrühe die Wohnung, lassen sich tagsüber kaum hier sehen und schleichen sich abends nach Hause, wenn ich schon schlafe.“
„Ein Restaurant fordert eben viel Einsatz.“ Ihre grünen Augen funkelten angriffslustig. „Und außerdem schleiche ich nicht.“
„Hatten Sie schon immer einen Achtzehn-Stunden-Tag? Oder erst, seit ich hier wohne?“
Sorgfältig legte sie die Papiere zusammen. „Warum fragen Sie mich das?“
„Dann eben eine andere Frage. Gehen Sie mir absichtlich aus dem Weg?“
„Natürlich nicht. Das ist ja lächerlich.“
„Gut. Dann hören Sie endlich auf, meine Unordnung zu beseitigen, und setzen Sie sich zu mir.“
„Ich habe den ganzen Tag gearbeitet und bin hundemüde.“
„Sie gehen mir doch aus dem Weg. Ich bitte Sie lediglich um ein paar Minuten Ihrer kostbaren Zeit. Wir wohnen beide hier, obwohl ich den Eindruck habe, allein hier zu sein.“
Entnervt verdrehte Stephanie die Augen. „Gut. Sie haben gewonnen. Ich setze mich.“
Und das tat sie. Wie ein wunderschöner rot gefiederter Vogel ließ sie sich auf einem Sessel nieder, jederzeit bereit, wieder davonzufliegen. Daniel widerstand dem Bedürfnis, sie festzuhalten.
„Ich habe Sie nicht im Schlaf ermordet, oder?“
Ihre Mundwinkel zuckten. „Offensichtlich nicht.“
Immerhin. Sie ließ sich auf ihn ein. Das bedeutete einen Anfang.
„Also entspannen Sie sich.“
„Ich bin doch …“ Aber sie wusste selbst, dass sie log. „Worüber wollen Sie sprechen? Gibt es ein Problem mit der Wohnung? Oder mit der Firmengründung?“
„Kommen Sie eigentlich nie zur Ruhe? Lesen Sie nie ein Buch oder sehen einfach nur fern?“
„Wenn ich Zeit habe schon.“
Das bezweifelte er.
„Wie viel haben Sie schon von London zu sehen bekommen, seit Sie hier sind?“
„Nicht annähernd so viel, wie ich mir gewünscht hätte. Aber es gefällt mir. Die Museen, die Geschichte …“
„Hier im Viertel stehen einige der berühmtesten Museen. In welchem waren Sie schon?“
„Im Royal College of Art“, gab sie prompt zurück.
Das überraschte ihn nicht. Die ganze Wohnung sowie das Restaurant hingen voller moderner Kunstdrucke. Dass sie die moderne Kunst liebte, war kein Geheimnis. Dennoch wunderte
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