JULIA EXTRA Band 0281
„Er wird dich immer haben. Aber du kannst ihm nicht verweigern, seinen Vater kennenzulernen … Das wäre einfach nicht richtig.“
„Aber wieso kümmert sich Xander überhaupt um Joey? Ihm ist es doch eigentlich egal. Das ist es ja!“, regte sich Clare auf. „Vi, du kennst ihn nicht. Er ist kein Mann, der Mitgefühl mit anderen hat. Das weiß ich nur zu gut. Er ist nur wütend, weil …“
Der Schmerz war einfach zu groß. Wieso war er überhaupt so wütend? Sie verstand ihn wirklich nicht. Xander hatte sie nicht gewollt. Er hatte sie abgewiesen, als er ihrer müde geworden war. Er hatte sich ihrer entledigt, als sei sie das Auslaufmodell, das man mit einer Diamantkette entschädigt. Wieso hatte es ihn also geärgert, dass sie verschwunden war? Nichts anderes hatte er doch gewollt. Und hatte sie es ihm nicht außerdem unendlich leicht gemacht?
Zu ihrem Schmerz gesellte sich Wut.
Vi seufzte. Sie hatte schon so viel Leid im Leben gesehen, dass sie eines mit Sicherheit wusste: Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, als sich zu fügen.
„Warte doch einfach ab, was als Nächstes passiert“, ermunterte sie Clare. „Du wirst immer das Beste für Joey tun. Das hast du in der Vergangenheit getan, und so wird es auch in Zukunft sein.“
Der bedrückende, schwere Knoten, der sich in Clares Brust gebildet hatte, löste sich ein wenig. Doch in ihren Augen spiegelte sich noch immer die Angst, die sie erfüllte. Ihr Herz zog sich qualvoll zusammen. Es war schrecklich. Wie konnte es nur sein, dass ihr Leben vor kaum vierundzwanzig Stunden noch normal und sicher gewesen war?
War es nicht schlimm genug gewesen, vergangene Nacht Xander wiederzusehen? Sich wieder mit den Erinnerungen konfrontiert zu sehen, die sie so verletzt hatten?
Aber das war nichts im Vergleich zu dem, was sie durchgemacht hatte – immer noch durchmachte –, seit er von Joey erfahren hatte.
Lieber Gott, dachte sie, was soll ich nur tun?
Aber das, was ihr viel mehr Angst machte, war, dass sie sich nicht vorstellen konnte, was Xander nun tun würde. Jetzt, wo er von seinem Sohn wusste …
4. KAPITEL
Xander stand am Fenster seiner Londoner Wohnung und blickte hinaus. Die Sonne fiel herein und durchflutete das großzügige Foyer. Hier erinnerte ihn nichts an Clare. Seit damals war er öfter umgezogen. Diese Wohnung war sicher die zweite oder dritte, die er schon bezogen hatte, seit er geschäftlich in England zu tun hatte. Das Gleiche galt für seine Wohnungen in Paris, New York, Rom und Athen. Er behielt Dinge nie lange.
Er wechselte seine Autos jährlich, sobald es ein neues Modell seiner bevorzugten Marke gab. Genauso oft wechselte er seine Uhren. Wenn ein neueres oder besseres Modell auf den Markt kam, kaufte er es sich. Ähnlich erging es den Jachten, die in Piräus und Südfrankreich vor Anker lagen.
Er hegte keine sentimentalen Gefühle für Dinge.
Oder für Frauen. Die tauschte er ebenso häufig aus. Das hatte er immer schon so gehandhabt. Schließlich sprach ja auch nichts dagegen …
Aber ein Kind konnte nicht ausgetauscht werden. Ein Kind war für immer da.
Wie so oft in den letzten sechsunddreißig Stunden überkamen ihn die widerstreitendsten Gefühle. Genauer gesagt ging es ihm seit dem Zeitpunkt in der Cocktailbar so, als er nach vier Jahren die Frau erblickte, die schweigend den Tisch im St. John verlassen hatte und in die Nacht hinausgegangen war.
Wieder sah er ihre leeren, ausdruckslosen Augen vor sich, als er ihr gesagt hatte, es sei vorbei.
Christe mou, mein Gott, da war sie schon schwanger gewesen. Sie hatte dort gesessen, dachte er bei sich, trug sein Kind unter dem Herzen, und war einfach gegangen, ohne es zu erwähnen.
Er konnte seine Wut auf sie kaum noch beherrschen. Abrupt wandte er sich ab und ging zur Tür. Es war Zeit, das Durcheinander zu regeln. Zeit, seinen Sohn zu holen.
Clares Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Steif stand sie in ihrem Schlafzimmer, das über dem ihrer Freundin Vi lag. Es war der einzige Ort, an dem sie sich unterhalten konnten, ohne dass Joey sie hörte. Der Kleine war, zusammen mit Vi, im Wohnzimmer im hinteren Teil des Hauses.
Ihr gegenüber stand Xander mit dem Rücken zum Fenster. Seine Silhouette hob sich gegen das Licht ab, was ihn sehr groß und dunkel wirken ließ.
Sie konnte sich kaum gegen das Gefühl der Unwirklichkeit wehren. Aber da war noch etwas. Etwas, was im Grunde nichts mit der an sich schon unerträglichen Situation zu tun hatte. Sicher, er wusste nun,
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