JULIA EXTRA Band 0281
nicht gebrauchen! Ich muss einen klaren Kopf behalten. Wenn nicht um meinetwillen, dann doch wenigstens um Joeys willen.
War es nicht schon schlimm genug, Xander und Joey zusammen zu sehen? Und noch viel schlimmer, dass Joey mit zunehmender Zuversicht und Freude auf all die Aufmerksamkeit Xanders reagierte? Quälte sie das denn nicht genug? Musste sie sich jetzt auch noch selbst in den Rücken fallen?
Es gab nur einen Trost, wenn auch einen grausamen. Sofern das überhaupt in diesem Albtraum, den sie erlebte, möglich war. Nur einen einzigen Lichtblick.
Dass das, was ihre verräterische Erinnerung heraufbeschwören wollte, in Xander keinen Widerhall fand.
Er schätzte sie nicht, weder als Mutter noch als Frau. Er bedachte sie nur mit grimmiger Feindseligkeit und Verachtung.
Sei dankbar dafür, dachte sie. Sei dankbar, dass er dich wie ein Stück Holz behandelt.
Und sie musste es ihm gleichtun. Nur so würde sie damit fertig werden und ihre Gefühle kontrollieren können.
Aber wie sollte sie nur einen Urlaub in seiner Gegenwart überleben? Das konnte sie nicht. Es war unmöglich.
„Also?“, forderte Xander sie heraus. „Glaubst du nicht, dass Joey der Strand gefallen würde?“
Sie würde sich nicht derart überrollen lassen!
„Das kann er auch in diesem Land haben. Deshalb mit ihm in die Karibik zu fliegen, ist einfach lächerlich.“
„Dabei ist sie in dieser Jahreszeit am schönsten“, schmeichelte Xander. „Der Flug ist zwar lang, aber einer der Vorteile eines Privatflugzeuges ist, dass wir jederzeit fliegen können und dass Joey sehr viel Platz hat, um sich frei zu bewegen und um zu spielen. Du hast doch sicher nicht vergessen“, erinnerte er sie und blickte ihr fest in die Augen, „wie leicht man reisen kann, wenn es komfortabel ist?“
Clare wandte den Blick ab. Oh Gott, sie konnte sich nur allzu gut daran erinnern. Sie hatte auch nicht vergessen, wie Xander die Schlafgelegenheit in seinem privaten Langstreckenjet genutzt hatte.
Nicht, dass sie sehr viel geschlafen hätten …
„Joey wird sehr viel Spaß haben“, warf Vi entschlossen ein. „Und das ist doch das Wichtigste. Nicht wahr, Clare?“
Während sie sprach, blickte sie Clare bedeutungsvoll an, und Clare konnte nicht anders, als sich getäuscht zu fühlen.
Xander stand auf. „Meine Assistentin meldet sich am Montag und wird die weiteren Vorkehrungen treffen … Dazu gehört alles, was erforderlich ist, um Joeys Pass ausstellen zu lassen.“ Er warf einen Blick auf seine Uhr.
Diese Geste blieb Clare nicht verborgen. Natürlich, es war Samstag … Xander Anaketos würde den Abend sicher nicht alleine verbringen. Wie sah wohl seine aktuelle Geliebte aus? War sie blond, brünett oder rothaarig? Klein, üppig, groß? Obwohl es sie schmerzte, daran zu denken, ging sie die unzähligen Möglichkeiten durch.
Sie selbst war vor vier Jahren von ihrem genauen Gegenteil ersetzt worden: von einer feurigen, leidenschaftlichen lateinamerikanischen Schönheit, die ein Händchen für extravagante, freizügige Kleidung hatte. Sie hatte die beiden auf einem Bild in einer Klatschzeitschrift gesehen, als sie in der Klinik zur Schwangerschaftsvorsorge gewesen war. Offenbar war Xander der kühle, klassische Typ, den sie verkörperte, langweilig geworden, und er hatte etwas Aufregenderes gebraucht …
Sie zwang sich, nicht mehr daran zu denken und ihre Gedanken auf Wichtigeres zu lenken. Wohl oder übel würde sie sich ans Kofferpacken machen müssen. Nachdenklich und ohne ein Wort an Vi zu richten, ging Clare auf ihr Zimmer. Dort zog sie aus einer Ecke einen alten verstaubten Koffer hervor und öffnete ihn. Langsam und wie mechanisch suchte sie in ihrem Kleiderschrank nach Wäsche und anderen Kleidungsstücken.
Ihre Garderobe hatte längst bessere Tage gesehen. Aber was sollte sie tun? Sie musste mit dem wenigen Geld haushalten, das ihr zur Verfügung stand. Da war es unmöglich, sich schöne Kleider zu leisten. Schließlich wollte sie auch, dass Joey etwas zum Anziehen hatte. Hin und wieder wollte sie ihm schon etwas Neues gönnen.
Clare griff nach einem T-Shirt und begutachtete es kritisch. Doch, das konnte sie nehmen. Sie faltete es zusammen. Jedes Kleidungsstück sorgfältig begutachtend, füllte sie nach und nach den Koffer.
Schließlich öffnete sie die Schublade mit der Unterwäsche. Sollte sie den mit zarter Spitze besetzten BH mitnehmen – ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten?
Abrupt hielt Clare inne. Was dachte sie sich nur?
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