JULIA EXTRA Band 0281
dass sie nicht schon längst am Boden lag.
Sie hatte die Liebe ihres Lebens verloren.
Und anstatt, wie von Marcos erwartet, gleich nach London zu fliegen, hatte sie einen Abstecher nach Agadir gemacht, um die Basis für ihren neuen Lebenstraum zu legen – die Geschäftsführung von Winter Cosmetics.
Außerdem musste sie auch noch akzeptieren, dass sie nicht schwanger war. So trauerte sie um ihren sehnsüchtigen Traum, wenigstens ein Bindeglied zu Marcos Ramirez behalten zu können, und gleichzeitig versuchte sie sich einzureden, dass sie so viel besser dran sei.
Mit einem Kind hätte sie sich nur weitere unsinnige Hoffnungen gemacht. Außerdem war sie noch viel zu jung für die Mutterrolle und wollte sich zunächst einer Karriere innerhalb der Familienfirma widmen, die für sie bisher ungeeignet schien.
Und genau deshalb war sie hier.
Tamsin folgte dem Lakai, der sie durch endlose Gänge und Flure führte, um den Mann zu treffen, der unverzichtbar für das Überleben von Winter Cosmetics war. Aus Rücksicht auf die landesüblichen Gepflogenheiten trug Tamsin einen Schleier und schlug die Augen bereitwillig nieder, als sie vor Scheich Mohamed al-Maghrib stand.
Der Scheich saß in der Mitte eines mit schwerer Seide bezogenen Sofas und schaute bei ihrem Eintritt auf, ohne jedoch Anstalten zu machen, sich zu erheben.
„Ah, die flüchtige Braut meines werten Neffen …“, murmelte er im reinsten Englisch. „Ich bin sehr neugierig darauf zu erfahren, warum ausgerechnet Sie mich unbedingt sehen wollten. Nehmen Sie doch bitte Platz.“
Sie akzeptierte seine Einladung mit einem graziösen Neigen des Kopfes und setzte sich in einen Sessel ihm gegenüber.
„Danke, wenn es Ihnen recht ist, möchte ich ohne Umschweife gleich auf den Punkt kommen.“
Der Scheich nickte.
„Also, mein Bruder hat sich entschlossen, sich aus unserer Familienfirma zurückzuziehen und mir die Firmenführung zu überlassen. Ich bin hier, um Sie zu fragen, ob Sie das Angebot, das Sie meinem Bruder Sheldon gemacht haben, auch mir gegenüber aufrechterhalten.“
„Und warum sollte ich das Ihrer Meinung nach tun, Miss …? Haben Sie etwa vor, doch noch als Braut zu meinem Neffen zurückzukehren?“
„Nein.“
Der Scheich zuckte gleichmütig die Schultern. „Unsere Abmachung beinhaltete aber eine Braut.“
„Und meine Familie versorgt sie mit einer“, erklärte Tamsin selbstbewusst und nicht ganz ohne Schadenfreude, als sie den verblüfften Blick des älteren Mannes gewahrte. „An diesem Vormittag hat meine Schwägerin Camilla meinen Bruder Sheldon verlassen. So wie ich es verstanden habe, sind sie und Ihr Neffe schon länger ein Paar, ohne, dass irgendjemand von uns darüber Bescheid wusste. Sie scheint entschlossen, mit Aziz zu leben, der sie, auf seine ganz spezielle Art und Weise, vielleicht sogar liebt. Auf jeden Fall ist damit dieser Passus des Vertrages erfüllt.“
Aziz’ Onkel blinzelte zunächst irritiert, dann musterte er Tamsin mit einem trägen Lächeln. „Sie verlieren keine Zeit“, stellte er nicht ohne Bewunderung fest. „Das gefällt mir. Sind Sie ganz sicher, dass Sie meinen Neffen nicht heiraten wollen?“
Tamsin unterdrückte ein Schaudern. „Das steht nicht zur Debatte.“
„Hm, ich kenne die Gerüchte, die besagen, dass Aziz seine Frau umgebracht haben soll, aber ich kann Ihnen versichern, dass es ein Unfall war. Ich war nämlich dabei. Beeinflusst das vielleicht Ihre Entscheidung?“
Tamsin schüttelte den Kopf. „Nein, aber um Camillas willen bin ich erleichtert.“
„Das ist vielleicht etwas verfrüht“, murmelte er ironisch. „Mein Neffe mag kein Mörder sein, aber damit ist er nicht automatisch ein Heiliger. Er wird ihr die Hölle auf Erden bereiten, vermute ich. Und von ihrer Seite aus ist es wohl in erster Linie ein ausgeprägtes Interesse an meinem Geldbeutel, aber wer will schon der wahren Liebe im Weg stehen“, schloss er sarkastisch und schnippte mit den Fingern.
Ein Lakai brachte ihm eine kunstvoll verzierte Ledermappe und einen Stift.
„Ihre Familie hat meinem Neffen also in der Tat eine Ehefrau verschafft, damit fühle ich mich an mein Vertragsversprechen gebunden. Es ist eine Frage der Ehre“, erklärte er ruhig, und fünf Minuten später verließ Tamsin strahlend die Kasbah und war zu Recht sehr zufrieden mit sich. Endlich hatte sie alles, was sie wollte.
Bei diesem Gedanken stockte sie. Oh nein, ich habe längst nicht alles, was ich mir wünsche, dachte sie traurig und
Weitere Kostenlose Bücher