JULIA EXTRA Band 0281
fühlte, wie ihr Herz sich fast überschlug, als sie Marcos aus einem staubigen Laster steigen sah. Er schwang sich einen Rucksack auf die Schultern, warf die Wagentür zu und lief auf die Kasbah zu. Und dann entdeckte er sie …
„Tamsin!“ Er stoppte so abrupt, dass er mit den Hacken seiner Stiefel kleine Staubwolken aufwirbelte, und starrte sie an wie einen Geist.
„Marcos …“, wisperte sie. Ihr ganzer Körper begann vor Schock über das unverhoffte Wiedersehen zu zittern. Am liebsten wäre sie auf ihn zugestürmt, hätte sich in seine Arme geworfen und ihn voller Inbrunst geküsst, doch dann sah sie, wie sich sein Gesicht verhärtete.
„Wenn du extra hergekommen bist, um mich davon abzuhalten, Aziz zur Verantwortung zu ziehen, verschwendest du nur deine Zeit. Ich werde ihn nicht ungeschoren davonkommen lassen. Er muss für das, was er getan hat, bezahlen.“
Es war der harte, kalte Schlag mitten ins Gesicht, den sie vielleicht gebraucht hatte. Ihn jetzt auf Knien anzuflehen, sie doch zu lieben? Niemals!
„Keine Angst“, entgegnete sie kühl. „Ich bin rein geschäftlich hier. Der Scheich hat sich bereit erklärt, den geplanten Vertrag über das Ölkontingent zu erfüllen, und damit ist meine Mission hier auch schon beendet.“
„Öl? Wovon redest du überhaupt?“
„Ich habe es dir doch angekündigt, ich will versuchen, Winter Cosmetics zu retten. Sobald sich die Firma erholt hat, werde ich damit anfangen, dir jeden Penny, den du über die letzten zwanzig Jahre durch meine Familie verloren hast, zurückzuzahlen. Es kann allerdings eine Weile dauern.“
Marcos stand da wie vor den Kopf geschlagen. „Ich dachte, du seist bereits in London. Ich habe meine Sekretärin doch angewiesen, dir …“
„Mir den ersten Flug von Madrid nach London zu buchen, was sie auch getan hat. Dies hier ist nur ein Zwischenstopp. Und wenn ich mich jetzt beeile, erwische ich in Agadir noch meine Maschine nach London. Falls du immer noch das Verlangen haben solltest, meine Familie zu zerstören, dann kann ich nichts dagegen tun. Genauso wenig, wie ich verhindern kann, dass du in deinem Hass und deinen Rachegelüsten ertrinkst.“
„Du warst doch sogar bereit, dein Leben für deine Schwester zu opfern, wo ist da der Unterschied?“
Tamsin schüttelte ungläubig den Kopf. „Du siehst den Unterschied wirklich nicht?“
„Nein, wir beide wollen nur die Menschen beschützen, die wir lieben.“
„Du beschützt sie nicht, sondern rächst sie. Ich bin mir ganz sicher, dass deine Familie damit niemals einverstanden gewesen wäre. Sie hätten sich gewünscht, dass du vergeben und ein eigenes Leben führen kannst und nicht zwanzig Jahre damit zubringst, dein Herz und deine Seele zu vergiften. Der Weg, den du gewählt hast … ständig zurückzuschauen, immer wütend und ohne vergeben zu können, das ist der Weg eines lebenden Toten.“
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, gab aber immer noch nichts preis. „Du denkst also nicht, dass Aziz nach all dem, was er dir angetan hat, leiden sollte?“
Sie lächelte traurig. „Du bist derjenige, der leidet, und du verdienst es in meinen Augen, davon endlich befreit zu werden. Verstehst du das denn wirklich nicht?“
„Tamsin …“
„Und Aziz mag ein Schuft und ein Dieb sein, aber kein Mörder. Das hat mir sein Onkel glaubhaft versichert. Wenn du ihn also dafür strafen willst, dass er deinem Vater die Formel gestohlen hat, kannst du das Gleiche mit mir tun.“
„Dir würde ich niemals wehtun, du könntest die Mutter meines Kindes sein.“
Tamsin senkte den Kopf und biss sich auf die Unterlippe. „Auch darüber brauchst du dir keine Gedanken mehr zu machen“, sagte sie leise. „Ich bin nicht schwanger.“
„Ist das ganz sicher?“
„Ja.“
Marcos’ Gesicht war angespannt, und er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Woher kam dieses brennende Verlustgefühl, das seine Brust zu sprengen drohte? Er hatte nie ein Kind gewollt. Hätte er jetzt nicht unendlich erleichtert sein müssen?
„Leb wohl, Marcos.“
„Tamsin, warte …!“ Er griff nach ihrem Arm.
„Was willst du noch?“
„Ich … ich will dich nicht verlieren.“
Sie wirbelte herum und suchte in dem dunklen, vertrauten Gesicht nach einem Hinweis, dass Marcos seine Meinung doch noch geändert hatte und bereit war, seinen Racheplan aufzugeben. Vielleicht …
„Bleib bei mir. Wenn ich mit Aziz fertig bin, können wir reden. Wir finden einen Mittelweg, mit dem wir beide zurechtkommen. Du
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