JULIA EXTRA Band 0287
abgelehnt hatte, weil sie ihm das Gefühl vermitteln wollte, schwer zu kriegen zu sein. Deshalb zweifelte er auch nicht eine Sekunde daran, dass sie den Antrag am Ende doch noch annehmen würde. Er hatte ihr sogar den Verlobungsring dagelassen – ein Erbstück, das seiner Großmutter gehört hatte.
„Ich habe gearbeitet“, log sie. „Du weißt doch, dass ich den Johnson-Fall noch für Montag vorbereiten muss?“
„Meinst du nicht, dass du dich ein bisschen zu sehr in diesen Fall hineinsteigerst?“
„Nein.“ Ihre Mandantin war eine junge Frau, deren Ehemann bei einem Zugunglück getötet worden war. Schock und Trauer hatten bei ihr vorzeitige Wehen ausgelöst – das Kind kam tot zur Welt. Als die Regierung ihr endlich eine Entschädigung anbot – mehrere Jahre später –, da wollten sie nichts für den Schmerz des verlorenen Kindes zahlen. Sie nannten ihren Sohn einen Fötus, der noch nicht als vollständiger Mensch betrachtet werden konnte. Die Frau war zu Jordan gekommen, nicht weil sie ein Vermögen einklagen wollte, sondern Gerechtigkeit.
„Du arbeitest zu hart, Jordan.“
„Ich liebe meine Arbeit, Chad.“ Mehr noch. Ohne ihre Arbeit würde sie sich total leer vorkommen.
„Hast du über das nachgedacht, was ich dich vor meiner Abreise gefragt habe?“
Jordan spürte, wie sich ihr die Brust zuzog. Natürlich war ihr klar gewesen, dass er früher oder später darauf zu sprechen kommen würde.
„Ja“, antwortete sie.
„Und?“
Da war er: der Moment der Wahrheit. Hatte sie den Mut, zu ihrem Entschluss zu stehen? Oder würde sie erneut schwach werden und zulassen, dass Gino ihr Leben zerstörte?
Nein, es war an der Zeit, dass sie sich nicht länger hinter der vollkommen fatalen Leidenschaft für einen Mann versteckte, der sie niemals heiraten würde, wie er selbst zugegeben hatte. Nächstes Jahr wurde sie dreißig. In zehn Jahren vierzig.
Zeit, eine Entscheidung zu fällen.
„Ja, Chad“, sagte sie fest. „Ich werde dich heiraten.“
4. KAPITEL
Gino befand sich auf dem obersten Stockwerk seiner aktuellen Baustelle und balancierte über einen nicht allzu breiten Trägerbalken, als sein Handy klingelte. Er wartete, bis er die relative Sicherheit einer Ecke erreicht hatte, und fischte es erst dann aus seiner Tasche.
„Gino Bortelli“, meldete er sich. Er hatte einen Arm fest um einen Stützbalken geschlungen. In dieser luftigen Höhe wehte ein ordentlicher Wind.
„Was höre ich da? Du hast dich von Claudia getrennt?“, kam seine Mutter ohne Vorwarnung oder Begrüßung gleich auf den Punkt.
Gino unterdrückte nur mit Mühe ein Seufzen. Die Mundpropaganda funktionierte in italienischen Familien nach wie vor bestens.
„Es ist keine große Sache, Mum. Sie war nicht die Richtige für mich, und ich auch nicht der Richtige für sie. Wir haben uns einvernehmlich getrennt.“
„Das ist mir aber anders zu Ohren gekommen, Gino. Claudia ist unheimlich wütend auf dich.“
Ja, sie war unheimlich wütend, weil sie jetzt nicht mehr in das Bortelli-Vermögen einheiratete.
Gino hatte es schon überrascht, wie ausfallend Claudia plötzlich geworden war, als er ihr mitteilte, dass ihre Beziehung vorbei war. In diesem Moment hatte sie ihr wahres Gesicht gezeigt und sich einer äußerst vulgären Sprache bedient, die jeder im Restaurant mit anhören konnte. Sie schien weniger unter gebrochenem Herzen zu leiden als an enttäuschtem Ehrgeiz.
Vor zwei Tagen war das gewesen – vergangenen Sonntag. Rückblickend fand er es beinahe erstaunlich, dass es so lange gedauert hatte, bis es seiner Mutter zugetragen wurde. Vielleicht hätte er es ihr selbst sagen sollen. Doch seit seiner Rückkehr aus Melbourne am Samstag hatte er nichts mit seiner Familie zu tun haben wollen.
Genug war genug.
„Claudia war mehr in mein Geld verliebt als in mich, Mum“, erklärte er fest. „Glaub mir das. Allerdings kann ich jetzt nicht weiter darüber reden. Ich bin bei der Arbeit.“
Seine Mutter seufzte. „Du arbeitest zu hart, Gino. Du solltest dir mal eine Pause gönnen.“
„Vielleicht werde ich das. Aber nicht heute.“
„Ehe du auflegst – hast du schon entschieden, was mit diesem heruntergekommenen Bauplatz in Sydney passieren soll? Der, den dein Vater vor all den Jahren gekauft hat?“
„Es ist schon alles in die Wege geleitet. Dort wird ein zwanzigstöckiges Hochhaus mit Wohnungen, Büroräumen und Ladenlokalen entstehen. Den Vertrag mit dem Architekten habe ich vergangenen Freitag
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