Julia Extra Band 0294
zu vertrauen, falls er das überhaupt konnte.
Im Moment war es am besten, ihre Situation unvoreingenommen zu betrachten. In ihrem neuen Zuhause erfüllte sie ein nie gekanntes Gefühl der Freiheit.
„Ich möchte dir danken, Xandros“, sagte sie leicht verlegen.
Er runzelte die Stirn. „Wofür?“
„Weil du dies alles möglich gemacht hast. Weil du meinen Söhnen so ein großzügiges Zuhause bietest.“
„Es sind auch meine Söhne“, erinnerte er sie. „Was sollte ich sonst tun? Herumstehen und zusehen, während du sie in Armut aufziehst?“
Rebecca verzichtete darauf, ihm zu sagen, dass nicht jeder seine Vorstellung von Armut teilte.„Darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Warum auch? Ich hatte die Schwangerschaft nicht geplant.“ Sie wartete auf die Frage, die sie in Xandros’ Augen las. „Wirklich nicht“, versicherte sie. „Aber es ist passiert, und ich werde das Beste daraus machen. Ich möchte den Zwillingen die liebevollste Mutter sein, die sie sich wünschen können. Und für mich bedeutet das, sie selbst zu versorgen. Ich will kein Kindermädchen.“
„Die Belastung wird zu viel für dich werden“, warnte er sie.
Dachte er so, weil seine Mutter so empfunden hatte? Jede Frau war anders. Rebecca schüttelte den Kopf und atmete tief ein. „Lass mich zu Ende reden. Mir ist klar, dass ich mich glücklich schätzen muss, weil du mir alles das bieten kannst. Aber ich will nicht, dass eine andere Frau mir bei der Kindererziehung dazwischenfunkt.“
„In so einem großen Haus kannst du nicht alles allein machen.“
„Da hast du recht.“ Schmunzelnd sah sie Xandros an. „Du hast selbst gesehen, dass ich alles andere als eine perfekte Hausfrau bin. Du könntest das Geld besser anlegen, wenn du eine Reinmachefrau oder Haushälterin einstellst, die deinen hohen Ansprüchen gerecht wird.“
Ihr Ton entlockte ihm ein Lächeln. Wie geschickt Rebecca sich durchgesetzt hatte. Und er hatte es nicht einmal als Machtkampf empfunden.
War ihr bewusst, dass Babys in seiner Welt nur „süßes“ Zubehör waren, das ihre ach-so-schicken Mamas nach der neuesten Mode ausstaffierten? Dass Babys auf Partys herumgereicht und gehätschelt wurden, um dann an farblose Kindermädchen zurückgereicht zu werden, die eines Tages entbehrlich wurden und aus der Welt des Kindes verschwanden?
Aber vielleicht dachte Rebecca auch nur, eine Frau, die sich die Hände schmutzig machte, könnte für ihn neu und damit interessant sein.
Oder wollte sie die Jungen so auf sich fixieren, dass sie unentbehrlich wurde? Damit könnte sie seine etwaigen Bemühungen unterlaufen, die Zwillinge ganz zu sich in die Staaten zu holen.
Xandros lachte hart auf. Wie zynisch er geworden war! „Na gut, Rebecca“, gab er nach. „Stellen wir eine Haushälterin ein.“
10. KAPITEL
Die Morgensonne tauchte den Schreibtisch in rotgoldenes Licht. Xandros legte den Bleistift nieder und reckte sich. Seit Tagesanbruch arbeitete er in seinem weitläufigen, nüchternen Büro und hatte festgestellt, dass er sich am besten konzentrieren konnte, solange es in dem großen Haus noch still war.
Zufrieden lehnte er sich zurück. Mit der ersten Entwurfsstufe der Pariser Konzerthalle, die auf dem linken Seine-Ufer entstehen sollte, kam er ausgezeichnet voran. Berühmt für seine kühnen Entwürfe, erhielt er Aufträge aus allen Teilen der Welt. Und von London aus konnte er schnell überall in Europa sein und musste sich nicht mit Zeitunterschieden herumschlagen.
Es war schon verrückt. Man wusste nie, wie etwas sich entwickeln würde, ganz gleich, wie sorgfältig man es plante. So war es auch beim Entwurf eines Bauwerks. Die Zeichnungen mochten noch so gut sein, die Arbeiten akkurat ausgeführt werden, aber oft war es dann das Unvorhersehbare, das dem fertigen Werk seinen besonderen Charakter verlieh. So war es auch bei dem riesigen Forschungszentrum gewesen, das er kürzlich fertiggestellt hatte. Niemand hatte vorausgesehen, dass die Mittagsonne so auf dessen facettenreiche Fenster treffen würde, dass das Gebäude als der sogenannte „Diamant“ weltberühmt wurde.
Ähnlich war es beim Zusammenleben mit Rebecca und seinen Söhnen. Er hatte nicht geahnt, wie aufregend es war, die täglichen Entwicklungen und Fortschritte der Kleinen mitzuerleben. Dabei hatte er sich über Kinder vorher nie Gedanken gemacht. Warum auch? Er hatte nicht vorgehabt, Vater zu werden … bis er unerwartet mit der vollendeten Tatsache konfrontiert worden war.
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