Julia Extra Band 0294
griff nach dem Telefonhörer. Die Person, die ihr in dieser verfahrenen Situation am besten weiterhelfen konnte, war ihre Großtante.
Edith nahm beim zweiten Klingeln ab. Ihr sachliches „Ja, wer ist da?“ zauberte das erste echte Lächeln seit Tagen auf Lilys Lippen.
„Ich bin es, Tante. Wie steht es um Life Begins?“ Plötzlich sah sie den Ausweg direkt vor sich. „Es muss doch schwierig sein, mit so wenigen Leuten auszukommen. Hast du jemanden gefunden, der Maisie Watkins Hund ausführt?“
Wenn ihre Tante eingestand, dass es bei Life Begins während ihrer Abwesenheit Probleme gab, würde ihr das die perfekte Entschuldigung liefern, um ihren Besuch in Italien vorzeitig abzubrechen.
„Nicht doch, Kind! Wir kommen ganz wunderbar zurecht. Kate Johnson ist ja da. Kurz nachdem sie das Büro in Felton Hall eingerichtet hat, hat sie angefangen, Freiwillige zu suchen. Zwei hat sie schon gefunden – sie hat den Pfarrer dazu gebracht, nach der Predigt einen Aufruf zu machen. Jetzt warten wir auf die Ergebnisse der Anzeigen in den Zeitungen. Ihr ist es sogar gelungen, in der überregionalen Tageszeitung einen schönen Artikel über Life Begins unterzubringen. Ich weiß gar nicht, warum uns das nicht eingefallen ist! Es braucht eben eine gut bezahlte professionelle Kraft, damit alles reibungslos läuft. Ich dachte, dein junger Mann hätte dir das alles erzählt. Er ruft uns täglich an. Offensichtlich nimmt er seine Aufgabe sehr ernst.“
Dein junger Mann? Damit meinte sie doch bestimmt nicht Paolo, oder? Wie absurd wäre das denn? Lily verfiel in mürrisches Schweigen, ihr Fluchtweg war blockiert worden. Natürlich freute sie sich, dass die Dinge bei Life Begins so gut liefen, aber das half ihr in ihrer Situation auch nicht weiter.
„Bist du noch da?“ Die laute Stimme ihrer Tante ließ Lily zusammenzucken und hastig einen bejahenden Laut ausstoßen. „Es gibt keinen Grund, dir Sorgen zu machen! Was ist mit dir? Verbringst du eine schöne Zeit?“ Zum Glück wartete sie eine Antwort gar nicht erst ab, sondern fuhr fort: „Als unser neuer Partner vorgeschlagen hat, mit dir nach Italien zu fahren, weil seine Mutter von einer kürzlichen Erkrankung genese und ihr deine Gesellschaft bestimmt guttue und du ja auch recht müde aussähst, ist mir erst klar geworden, dass ich dich ziemlich vernachlässigt habe. Du hast in letzter Zeit viel zu hart und lange gearbeitet …“
Lily hörte gar nicht mehr zu. So also hatte Paolo Edith überzeugt, sie nach Florenz reisen zu lassen. Sie hatte sich oft gefragt, wie er es angestellt hatte. Aber was Paolo Venini wollte, bekam er auch. Auf die eine oder andere Weise.
Als Edith endlich eine Atempause einlegte, sagte sie schnell: „Pass auf dich auf, Tante. Ich komme bald zurück.“
Zumindest hoffte sie das.
Paolo steuerte den Wagen um die letzte Kurve der Einfahrt zur Villa hinauf. Er war spät dran. Das Meeting hatte länger gedauert als erwartet. Er war abgelenkt gewesen. Aus irgendeinem Grund hatte er unbedingt nach Hause gewollt.
Wollte er Lily sehen? Mit ihr zusammen sein? Der Gedanke flackerte kurz und unliebsam auf. Natürlich nicht! Oder wenn doch, dann nur, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung war. Dass sie nicht ohne seine Gegenwart, ohne seine Hilfe etwas gesagt oder getan hatte, was ihr falsches Spiel auffliegen ließ.
Stündlich dankte er dem Himmel für die Genesung seiner Mutter. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass sie sich so begeistert in die Hochzeitsvorbereitungen stürzen würde. Erst gestern noch hatte sie ihn gedrängt, einen Termin mit dem Priester zu vereinbaren, und zwar am besten unmittelbar nach ihrer letzten Untersuchung im Krankenhaus.
Bald würde er ihr sagen müssen, dass es eine Verzögerung geben würde. Natürlich wäre sie enttäuscht. Aber sie würde die Bedeutung einer plötzlichen – erfundenen – Krise verstehen. Die Notwendigkeit, dass er zu den Büros in New York, Madrid, London oder wo auch immer reiste. Sie war lange genug mit dem Präsidenten einer Bank verheiratet gewesen, um zu wissen, dass das Geschäft immer Vorrang vor den persönlichen Belangen besaß.
Lily zurück nach England zu bringen würde ihn vor ein ganz anderes Problem stellen. Seine Mutter hatte ihm bereits anvertraut, dass sie die junge Frau ins Herz geschlossen hatte. Die Ausrede, dass Lily zu Hause gebraucht wurde, würde nicht funktionieren. Schließlich hatte er sich der Wohltätigkeitsorganisation angenommen.
Aber ihm war eine andere
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