Julia Extra Band 0295
körperlich und seelisch gesunde Kinder großzuziehen.“
Reese atmete langsam aus. „Das sage ich mir ständig selber, und auch mein Vater hat es vorhin gesagt, als wir miteinander telefonierten.“
Duncan lachte leise. „Ich kann ihn direkt hören.“ Er ahmte den gebieterischen Bariton seines Schwiegervaters nach. „Wenn Menschen es schaffen, die kaum bis drei zählen können, hast du wohl auch eine gute Chance.“
Duncan mochte ihren Vater, das wusste Reese. Ihm gefiel Wally Deerfields blumige Art, die Dinge zu benennen.
„Das hat er beinahe wörtlich gesagt“, stimmte sie ihm zu.
„Nun, wenn du mir nicht glaubst, solltest du wenigstens ihm glauben. Dein Vater ist einer der klügsten Menschen, die ich kenne.“
„Er ist nie über die Highschool hinausgekommen“, erinnerte sie ihn. Duncans Vater hatte ebenso wie der Sohn Betriebswirtschaft in Harvard studiert und mit einem MBA abgeschlossen.
„Der Schulabschluss ist nicht entscheidend. Eine Menge Leute mit Doktortitel besitzen nicht den gesunden Menschenverstand deines Vaters.“
„Stimmt. Ich arbeite mit einigen zusammen.“ Sie lächelte ihn von der Seite an. „Mein Vater mag dich übrigens sehr.“
„Siehst du? Ein kluger Mann.“ Duncan lächelte breit und trank einen Schluck Tee. Ohne den Blick von dem Becher zu wenden fuhr er fort: „Ich möchte so ein Vater werden wie er.“
„Was meinst du damit?“, fragte Reese, obwohl sie die Antwort kannte. Wenigstens hoffte sie es, obwohl es weder Daniel noch sie betraf.
„Wirklich einbezogen sein und jederzeit erreichbar. Ich möchte mit von der Partie sein.“ Er sah zu ihr hinüber. „Und nicht nur die Berichte von Leuten entgegennehmen, die ich eingestellt habe, um alles Unangenehme von mir fernzuhalten.“
Wie sein Vater.
„Du wirst bestimmt ein großartiger Vater sein.“ Davon war sie immer überzeugt gewesen, was ihre Unfruchtbarkeit umso schmerzlicher machte. Sie hatte sich furchtbar schuldig gefühlt, weil sie ihm verwehrte, was er sich am meisten wünschte. Und was andere Frauen ihm geben konnten und es eines Tages bestimmt tun würden. „Vielleicht kann Breanna …“
„Nein, nicht heute Nacht.“ Duncan zog seine Hand fort und strich erschöpft durch sein Haar. Dann legte er die Finger um seinen Becher und fügte hinzu: „Verdirb diese Nacht nicht, Reese. Bitte.“
„Okay.“
Doch anschließend versiegte die Unterhaltung, und die nachfolgende Stille war eher gespannt als kameradschaftlich. Reese trank ihren Tee aus und wünschte Duncan eine gute Nacht.
Eine Stunde nachdem sie endlich in einen unruhigen Schlaf gefallen war, wachte Daniel hungrig und mit nassen Windeln auf. Während sie in dem Schaukelstuhl saß und das Baby wieder in den Schlaf wiegte, hätte Reese schwören können, dass sie Duncans Schritte draußen hörte. Die Holzdielen knarrten, und sie wartete mit angehaltenem Atem. Doch er kam nicht herein.
Auch gut, dachte sie. Was gab es heute noch zu sagen?
7. KAPITEL
Duncan stand vor dem Spiegel im Gästebad und knotete nervös seine Krawatte. Seine Eltern mussten jeden Moment eintreffen – vorausgesetzt, sie riefen nicht an und verschoben ihren Besuch erneut. Heute ging Daniels zweite Woche in seinem neuen Heim zu Ende. Trotz zahlreicher Versprechungen hatten seine Eltern das Baby noch nicht gesehen.
Nun, das macht nichts, überlegte Duncan. Vielleicht war es sogar für alle am besten, wenn sie wenig Interesse an ihrer Rolle als Großeltern zeigten, weil sie es letztendlich nicht sein würden. Doch als seine Mutter anrief und den Besuch zum vierten Mal verschob – sie hatte ihre Verabredung mit Lillian und Grant Sommers zum Dinner im Klub vergessen –, ließen sich der Schmerz in Duncans Brust und seine Verwunderung darüber nicht mehr leugnen. Weshalb war ihm dieser Besuch so wichtig?
Er sagte sich, dass seine Enttäuschung nichts mit dem offensichtlichen Desinteresse seiner Eltern an dem Baby zu tun hätte. Er wollte den ersten Besuch einfach hinter sich bringen. Außerdem war es eine Frage des Prinzips. Schließlich würde es sie nicht umbringen, wenn sie sich hilfreich und interessiert zeigen, und sei es um seinetwillen. Sie wussten ja nicht, dass alles nur eine große Lüge war. Manchmal hatte er selber Schwierigkeiten, sich daran zu erinnern.
Reeses Gesang unten in der Diele unterbrach seine Gedanken. Sie hatte nicht gerade die schönste Stimme. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, Melodien aus alten Hollywood-Musicals zu trällern. Aus einem
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