Julia Extra Band 0295
Duncan hätte sich am liebsten selber geohrfeigt. Um seine scharfe Reaktion zu mildern, fügte er hinzu: „Ich bin sicher, dass er die paar Minuten in seinem Bettchen gut aufgehoben ist. Er scheint das kreisende Mobile gern zu beobachten.“
„Er beißt nicht, Duncan.“
„Ich weiß.“ Entschlossen kehrte er in die Diele zurück.
„Willst du ihn wirklich nicht halten?“
„Nein.“ Sein Hals begann zu schmerzen. „Tut mir leid.“
„Nicht nötig.“ Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, das ihre Augen nicht ganz erreichte. „Ich verstehe schon.“
In Wirklichkeit tat sie es nicht. Duncan begann sein Verhalten ja selber gerade erst zu begreifen. Er musste unbedingt Abstand zu dem Baby wahren. Deshalb hatte er sich außer am ersten Tag in der Agentur stets geweigert, Daniel auf den Arm zu nehmen, und eine Ausreden nach der anderen gesucht, um jeden körperlichen Kontakt mit ihm zu vermeiden. Der Kleine fühlte sich zu wunderbar in seinen Armen an. Er passte viel zu perfekt hinein, schmiegte sich an seine Brust und stahl sich mühelos in sein Herz.
Ist es so schwer, so zu tun, als würdest du ihn ebenfalls lieben?, hatte Reese ihn am ersten Abend gefragt. Die Antwort, zu der er gekommen war, während er die nächsten Nächte wach lag, auf das Baby horchte und sich mühsam davon abhielt, nach Daniel zu sehen, als der Kleine zu weinen begann, war vernichtend, milde gesprochen. Nein, es war nicht schwer. Es war viel zu leicht.
Wohin sollte das bloß führen?
Zu seiner Erleichterung läutete die Türglocke in diesem Moment und kündete die Ankunft seiner Eltern an.
„Ich mache lieber auf.“ Duncan zeigte mit dem Daumen über seine Schulter in Richtung Diele und trat zwei weitere Schritte zurück.
Reese zwang sich zu einem Lächeln, doch sie sah immer noch traurig aus. „Ja, tu das.“
„Reese …“
Sie schüttelte den Kopf. „Lass deine Eltern nicht warten, Duncan. Daniel und ich kommen auch allein zurecht.“
Das werden sie bestimmt, dachte er.
Louise und Grayson Newcastle saßen nebeneinander auf dem Sofa im Wohnzimmer und fühlten sich trotz ihrer höflichen Miene eindeutig unwohl. Duncan hatte in einem Sessel gegenüber Platz genommen und einen Knöchel auf das andere Knie gelegt. Seine Haltung war lässig, doch sein Fuß zuckte immer wieder und machte es ihm unmöglich, sein Unbehagen völlig zu verbergen.
„Das Wetter ist derzeit ungewöhnlich kalt“, sagte sein Vater.
Duncan nickte zustimmend. Seinetwegen konnten sie über das Wetter reden, wenn das Schweigen dadurch endete. Doch seine Mutter schüttelte schon den Kopf.
„Im Februar ist es immer kalt, Grayson“, widersprach sie. „Ich glaube nicht, dass sich dieses Jahr sehr von den sechsundsechzig vorigen unterscheidet, die du in Michigan lebst.“
„Mir scheint, es wird jedes Jahr kälter.“
Duncan hatte den Eindruck, dass sein Vater mit seiner Bemerkung mehr meinte als nur die Außentemperatur.
Sein Magen begann zu brennen. Dies versprach ein langer, nicht besonders erfreulicher Besuch zu werden. Wie fast alle Begegnungen mit seinen Eltern. Er war diese steifen Gespräche und nichtssagenden Small Talks gewohnt, denn er war damit aufgewachsen und hatte früh gelernt, echte Gefühle für sich zu behalten.
Heute schienen seine Eltern noch reservierter zu sein als sonst – bis Reese mit dem Baby auf dem Arm das Wohnzimmer betrat. Einen kurzen Augenblick verschwand ihre hochmütige Miene. Seine Mutter holte tief Luft und fasste zu seiner Verblüffung die Hand seines Vaters.
„So, das ist er“, sagte Reese mit gezwungener Fröhlichkeit. „Das ist Daniel. Daniel Ryan.“
Sie drehte das Baby so, dass alle einen guten Blick auf das runde pausbäckige Gesichtchen werfen konnten. Duncan glaubte plötzlich, so etwas wie Schmerz in den haselnussbraunen Augen seiner Mutter flackern zu sehen. Doch es war vorüber, bevor er sich vergewissern konnte.
„Er … er sieht völlig gesund aus“, stellte Louise sachlich fest. Sie ließ die Hand ihres Mannes los und fingerte am Saum ihres knielangen Chanel-Rocks.
„Ja“, bestätigte Grayson steif. „Sehr gesund.“
Reeses Lächeln erstarb, und Duncan war ebenfalls tief enttäuscht. Zwar hatte er sich ermahnt, nicht zu viel von seinen Eltern zu erwarten. Außerdem war deren Gleichgültigkeit auf lange Sicht für alle am besten. Trotzdem hätten die beiden ruhig ein bisschen Begeisterung zeigen können. Er setzte die Füße auf den Boden und richtete sich in seinem Sessel
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