Julia Extra Band 0295
seine Mutter verschwunden ist und alles andere, was ihn unglücklich macht. Aber Sie sind nun mal sein Vater. Wen sonst soll er verantwortlich machen? Und ganz gleich, wie sehr er Sie bekämpft, er ist bei Ihnen, er liebt Sie abgöttisch, auch wenn Sie das nicht spüren.“
Schon bei ihrem ersten Satz hatte Noah aufgehorcht. Wegen der unterdrückten Leidenschaft in ihrer Stimme. Sie stand da, ihre rechte Hand zitterte, und ihre Augen brannten.
„Was ist mit Ihnen, Jennifer?“
Sie atmete tief ein und aus. „Sie haben Belinda verloren. Aber es gibt Tausende von Menschen, die seit Jahren auf einen Menschen warten und ein Vermögen zahlen würden für das, was Sie haben … eine Familie. Drei wunderbare und gesunde Kinder, die Sie lieben, trotz der Probleme, die sie haben. Für so einen Segen würde ich mein Leben geben.“
Jennifer eilte an ihm vorbei ins Haus.
Als er die Tür ins Schloss fallen hörte, schloss Noah die Augen und legte den Balken zur Seite. Jennifer hatte recht. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz, er schämte sich seiner Blindheit. Seine wunderbaren gesunden Kinder waren ein Geschenk.
Was ihn aber noch mehr erschütterte, war die Art und Weise, wie Jennifer die Wahrheit ausgesprochen hatte. Mit diesem schmerzhaft hungrigen Ausdruck in den Augen. Das sagte mehr als ihre Worte.
Wo hatte er denn bisher seine Augen gehabt? Erst ihre Worte ließen ihn das Offensichtliche erkennen: Sie war nicht nur eine faszinierende Frau, sondern ein Mensch, der einen Verlust erlitten hatte. Einen Verlust, der ebenso schrecklich und tiefgreifend gewesen sein musste wie seiner.
Jennifer hatte darüber geschwiegen, Und er hatte alle Zeichen und Hinweise auf ihren Kummer übersehen, weil er zu sehr mit sich und seiner Angst beschäftigt gewesen war. Mit seiner Angst vor Nähe.
Das wollte er ändern. Und zwar bald.
6. KAPITEL
Jennifer fühlte sich von Noah beobachtet. Sie tat, als bemerkte sie es nicht.
Während des Essens bemühte sie sich, ausschließlich auf die Kinder zu achten. Doch dann bestand Noah darauf, ihr zu helfen, Cilla und Rowdy zu baden und ins Bett zu bringen. Als sie sich danach an den Abwasch machte, griff er zum Geschirrtuch und trocknete ab.
Seine Aufmerksamkeit war noch schwerer zu ertragen als das abweisende Verhalten, was er früher an den Tag gelegt hatte. Ihre rechte Hand begann wieder zu zittern.
„Sie brauchen einen Haarschnitt“, platzte es plötzlich aus ihr heraus. „Ich meine …“ Sie schwieg verlegen.
„Mir fehlt die Zeit, zum Friseur zu gehen. Ist es schon wieder zu lang? „ Er fuhr sich mit den Fingern durch das dichte wellige Haar. Jennifer starrte ihn fasziniert an.
„Wenn Sie möchten, schneide ich es Ihnen.“ Heiliger Bimbam! Was war nur in sie gefahren? „Keine Sorge, ich schneide ihnen nicht die Ohren ab. Einen einfachen Schnitt bekomme ich hin. Ihr Haar würde ich ohnehin nicht sehr viel kürzer schneiden. Es ist zu schön, um …“
Hilfe, sie machte ja alles noch schlimmer mit ihrem Geplapper. Er musste sie für eine Vollidiotin halten.
„Vergessen Sie es, es war eine dumme Idee.“ Sie schaute auf ihre Fußspitzen und wäre am liebsten im Boden versunken. „Sie wollen ja ohnehin wieder an die Arbeit …“
„Ein Haarschnitt würde mir jetzt besser gefallen.“ Seine Stimme klang sanft und entgegenkommend.
Eifrig zog sie einen Stuhl für ihn heran. „Nehmen Sie Platz!“ Dann holte sie Kamm und Schere.
„Müssen Sie das Haar nicht vorher waschen? Ich habe gehört, dass es dann einfacher zu schneiden ist.“
„Es reicht, wenn ich es nass mache.“ Sie nahm eine Wasserflasche und bespritzte sein Haar, bevor sie es durchkämmte.
Kurz gab sie der Versuchung nach, die Finger durch sein Haar gleiten zu lassen. Doch es war intim. Zu intim. Noah lehnte sich zurück und brummte: „Mm, das tut gut.“
Sie musste sich einen Ruck geben, um die Schere anzusetzen. Auch zum Reden war sie nicht mehr in der Lage. Sie arbeitete schweigend, sagte nur „rechts“ oder „links“, „hoch“ oder „runter“.
Irgendwann fragte sie sich, was sie da tat. Schnitt sie Noah das Haar, oder streichelte sie es? Es ließ sich einfach nicht verhindern. Und der Wunsch, er möge sich umdrehen, sie anschauen und in den Arm nehmen, steigerte sich ins Unerträgliche.
„Fertig“, sagte sie irgendwann und schämte sich ihrer Atemlosigkeit.
Noah betrachtete sich kritisch in dem Handspiegel, den sie ihm gereicht hatte. „Das haben Sie gut gemacht, Jennifer.
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