Julia Extra Band 0297
Verzweiflung schnürten ihr die Kehle zu. Am liebsten wäre sie in diesem Moment allein gewesen, um sich wieder beruhigen zu können. „Hast du etwas dagegen, wenn ich es erst einmal hier hinlege?“, fragte sie zaghaft, wartete allerdings keine Antwort ab. „Ich werde ein Album besorgen, in das wir alle Babyfotos einkleben können.“ Sie plapperte weiter, um ihre Nervosität zu überspielen. „Meinst du, ich bekomme eines in einem gewöhnlichen Supermarkt? Zeinad will nämlich demnächst mit mir einkaufen gehen.“
Sie zog ein paar Schubladen auf und suchte nach einem festen Heft oder Buch, um den kostbaren Umschlag darin aufzubewahren. „Das ist perfekt.“ Zufrieden zog sie ein in Leder gefasstes Buch hervor. Dies war ein würdiger Schutzumschlag, und sie drehte sich triumphierend zu Khalid um.
Er starrte sie regungslos an, und im selben Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie kein Buch, sondern ein gerahmtes Foto in den Händen hielt. Sie spürte den ledernen Rahmen unter ihren Fingerspitzen und daneben das Glas, das die empfindliche Fotografie schützte. Instinktiv drehte sie den Rahmen um, doch bevor sie einen Blick darauf werfen konnte, hörte sie Khalid gequält aufstöhnen.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er die Hände zu Fäusten ballte und die Zähne fest aufeinanderpresste. Seine offensichtliche Anspannung verängstigte sie.
Ich bin in seine Privatsphäre eingedrungen, dachte sie entsetzt.
Ganz langsam legte sie das Bild wieder in die offene Schublade zurück und sah Khalid dabei direkt in die Augen. Er blinzelte nicht einmal, und Maggies Puls schlug schneller. Sie fühlte sich, als hielte sie etwas Lebendiges, Verbotenes in der Hand. Oder spielte ihre Einbildung ihr einen Streich?
Khalid sprach kein einziges Wort. Er stand einfach da und wartete ab.
Mit tastenden Fingern fand sie den Griff der Schublade und schob sie wieder halb zu. Immer noch keine Reaktion von ihm.
Bilde ich mir nur ein, dass er ein Problem mit diesem Bild hat?, überlegte sie verwirrt.
Vielleicht hatte er recht, und sie war schlichtweg übermüdet. Immerhin hatte sie in letzter Zeit sehr viel Energie in das Studium der Landessprache gesteckt und es damit möglicherweise etwas übertrieben. Aber sie wollte sich ihrem neuen Leben, so schnell es irgend ging, anpassen, um sich richtig einleben zu können.
Dann fiel ihr Blick plötzlich in die halb geöffnete Lade, und Maggie erstarrte. Sie schnappte hörbar nach Luft und hielt anschließend den Atem an.
Khalid sah unfassbar jung aus und so schön, wie man sich einen Märchenprinzen vorstellte. Und dieses Lächeln. Sie selbst hatte ihn niemals so lächeln sehen, voller Glück und Vertrauen in die Zukunft, als hielte er die ganze Welt in seinen Händen.
Abwesend fuhr sie mit einer Fingerspitze über sein Gesicht auf dem Foto. Das Glas fühlte sich unerwartet kalt an.
Er stand schon neben ihr, als sie endlich ihre Stimme wiederfand.
„Wie hieß sie denn?“
Anstatt ihn anzusehen, hing ihr Blick an der Frau, die ihn auf dem Bild anstrahlte. Insgeheim wusste sie genau, um wen es sich dabei handelte. Mit den hennabemalten Händen, dem kostbaren Festgewand und den Juwelen brauchte man nicht mehr viel Fantasie, um seine Schlüsse zu ziehen.
Maggie zog ihre Hand zurück, als hätte sie sich an dem Glas des Rahmens verbrannt. Wie betäubt stützte sie sich auf einer Anrichte ab.
„Ihr Name war Shahina.“ Sein Ton war kühl, so als müsse er dahinter seine wahren Empfindungen verborgen halten.
Betroffen sah Maggie auf die fröhlichen Gesichter hinunter, deren Augen aufrichtige Liebe ausstrahlten. Die Zusammengehörigkeit war unverkennbar: in der Art, wie sie sich aneinanderlehnten, als würden sie etwas einzigartig Intimes miteinander teilen, obwohl sie sich nur an den Händen hielten.
Sie sahen hinreißend aus. Beneidenswert.
Plötzlich fühlte Maggie sich furchtbar dumm dabei, sich insgeheim Hoffnungen auf Khalids Liebe zu machen.
„Sie war eine wunderschöne Braut.“ Der innere Schmerz zerriss sie fast.
„Das Foto wurde an unserem Hochzeitstag gemacht. Vor zehn Jahren.“
Maggie bildete sich ein, das Zuknallen einer schweren Eisentür zu hören, die sie von Khalid und seiner umwerfenden Braut trennte. Die Wahrheit lag deutlich auf der Hand. Khalid war rettungslos, über alle Maßen und mit Leib und Seele in diese Frau verliebt gewesen.
Erst als sie einen salzigen Geschmack im Mund wahrnahm, merkte Maggie, wie fest sie sich auf die Unterlippe gebissen hatte. Wie
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