Julia Extra Band 0299
sie seit Verlassen der Seenlandschaft gelebt hatten. Inzwischen waren sie beide über zwanzig und wollten endlich aus dem Käfig ausbrechen, in den Dr. Zaire sie so lange gesperrt hatte.
Immer wieder bat Julienne ihn, ihr zu erlauben, Schauspielunterricht zu nehmen. Schließlich gab der gestrenge Onkel nach. Einer seiner Freunde war Direktor eines kleinen Theaters im Künstlerviertel und versprach, Julienne unter seine Fittiche zu nehmen.
Abby selbst wollte Kunstunterricht nehmen, doch das lehnte Dr. Zaire kategorisch ab. Künstler seien kein Umgang für sie, musste sie sich anhören. Sie sei viel zu jung.
„Zu jung?“, hatte Abby wütend und enttäuscht gefragt. „Die meisten Frauen in meinem Alter sind bereits verheiratet und haben Kinder.“
„Genau das ist der springende Punkt. Ich möchte dir das ersparen. Eines Tages wirst du mir dankbar sein. Wir werden schon einen geeigneten Mann für dich finden, der die Verantwortung für dich übernimmt. Dann kannst du tun und lassen, was du willst.“
Hübsch genug seien sie ja beide, hatte er immer gesagt. Aber leider mittellos. In den Adel würden sie wohl nie einheiraten.
„Dieser verflixte Krieg“, hatte er gewütet. „Der macht alles kaputt. Niemand denkt ans Heiraten.“
Schließlich hatte er doch zwei Kandidaten gefunden. Männer mittleren Alters, die Julienne und Abby mit Blicken verschlangen und schon kurz nach dem Essen eingeschlafen waren. Nicht gerade das, was eine junge Frau sich erträumte.
„Wenn er nichts Besseres zu bieten hat, sterbe ich lieber als alte Jungfer“, hatte Julienne geflüstert, während der letzte Kandidat leise vor sich hin schnarchte.
Abby konnte ihr nur aus vollem Herzen zustimmen. Allerdings hatte sie es als Scherz aufgefasst, als Julienne nachdenklich hinzufügte: „Ich glaube, ich suche mir jetzt selbst einen Liebhaber.“
Genau das hatte sie getan.
6. KAPITEL
„Ich will ja gar nicht wissen, wer Briannas Vater ist“, sagte Prinz Mychale ernst. „Mich interessiert nur, warum er nicht bei Ihnen ist.“
Er ist wirklich hartnäckig, dachte Abby. Draußen wehte noch immer ein heftiger Wind, der Laub und Tannenzapfen durch die Luft wirbelte.
„Weil er verheiratet ist“, antwortete sie schließlich wahrheitsgemäß.
„O Abby! Das sieht Ihnen aber gar nicht ähnlich.“
Es ging ja auch nicht um sie, aber das durfte er nicht wissen. Zornig funkelte sie ihn an. „Woher wollen Sie das wissen? Sie kennen mich ja kaum“, meinte sie kurz angebunden.
„Ich hatte mir eingebildet, Sie schon ein wenig zu kennen.“ Mychale ließ forschend seinen Blick über sie gleiten. „Ich dachte, Sie wären eine durch und durch ehrliche Person.“
„Dann müssen Sie Ihr Urteil jetzt wohl revidieren.“ Abby war den Tränen nahe. Was sie getan hatte, war wesentlich schlimmer, als der Prinz es sich ausmalen konnte. „Ich bin eine Einbrecherin mit einem unehelichen Kind. Schon vergessen?“
Sie stand jetzt direkt vor ihm. Im nächsten Moment packte Mychale sie und zog sie zu sich auf die Couch. Abby war so überrumpelt, dass sie zunächst still hielt.
„Ich glaube Ihnen kein Wort, Abby. In Ihren Augen spiegelt sich Ihre Seele, und was ich darin sehe …“ Er verstummte.
Sein Blick war heiß und verlangend. Abby hätte darin versinken mögen. Mychale war ihr so nah, es knisterte zwischen ihnen, und sie bekam kaum noch Luft. Ihre Hand lag direkt auf seiner nackten Brust, und sie spürte sein Herz klopfen. Er ist so stark, dachte sie. Und so wunderbar. Sie machte keine Anstalten, sich von ihm zu lösen.
Gleich küsst er mich. Instinktiv schloss sie die Augen und öffnete den Mund ein wenig. Ihr Herz pochte vor Aufregung.
Doch bevor es zum ersehnten Kuss kam, spürte sie, wie sich etwas veränderte. Mychale lockerte seinen Griff und stöhnte leise.
Besorgt schlug sie die Augen wieder auf. Dem Ärmsten schien es wieder schlechter zu gehen. Zärtlich strich sie ihm das Haar aus der Stirn, dann stand sie schnell auf und wich zurück.
Was war denn nur in sie gefahren? Der Mann war ein Mitglied des Hochadels. Sie hatte kein Recht, ihn zu berühren. Schon gar nicht, solange er nicht Herr seiner Sinne war.
Fürsorglich blieb sie in seiner Nähe und wachte über seinen unruhigen Schlaf. Er war ihr wichtig. Eigentlich kannte sie ihn schon ihr ganzes Leben lang. Aber er kannte sie überhaupt nicht.
Wo blieb Gregor nur? Abby war drauf und dran, ins Dorf zu fahren und ihn zu holen. Inzwischen war es Spätnachmittag geworden, und der
Weitere Kostenlose Bücher