Julia Extra Band 0299
verspürte einen schmerzhaften Stich. Der Vorschlag, einen Ausflug nach Sevilla zu machen, stammte von ihm. Und doch gab sie sich die Schuld. „Shh, Rosanne“, murmelte er beruhigend. „Es ist ja gut. Gib mir Zac.“
Sie erstarrte. Natürlich wusste sie, dass sie Zac loslassen musste, aber sie konnte es nicht. Sie versuchte es, aber ihre Arme wollten ihr nicht gehorchen. Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. „Ich kann nicht. Ich kann ihn nicht gehen lassen …“
„Doch, das kannst du.“
Isandro legte seine Hände über ihre. Wärme durchdrang ihre ausgekühlte Haut. Sie spürte, wie Zac instinktiv zu seinem Vater wollte. Und endlich, endlich löste sich ihr klammernder Griff, und sie gab ihn frei.
Einen langen Moment hielt er seinen Sohn, dann reichte er ihn an jemanden hinter sich weiter. „Glaubst du, du kannst laufen?“, fragte er besorgt und nahm Rosanne wieder bei den Händen.
Sie nickte. Alles kam ihr so unwirklich vor. Warum ging er nicht, jetzt, da er wusste, dass mit Zac alles in Ordnung war?
„Natürlich … es geht mir gut …“ Doch schon beim ersten Schritt gaben ihre Beine unter ihr nach. Als habe er es erwartet, fing Isandro sie auf und hob sie auf seine Arme.
„Was ist passiert?“ Schockiert blickte er auf ihre blutverkrustete Lippe.
„Ich habe ihr eine runtergehauen, als der Bengel den Mund nicht halten wollte“, antwortete eine hässliche Stimme.
Rosanne erkannte sie sofort. Die beiden Entführer standen, mit Handschellen gefesselt und bewacht, neben der Hütte. Einen Augenblick versteifte Isandro sich, dann trug er Rosanne kommentarlos an den Männern vorbei. Er setzte sie auf die Rückbank des warmen Jeeps. Zac war bereits dort. Eine Polizistin schnallte ihn in seinem Kindersitz fest. Sie lächelte freundlich.
Nur vage war Rosanne sich der vielen Polizisten und flackernden Taschenlampen bewusst. Sie hörte ein dumpfes Geräusch, dann kehrte Isandro zurück und rieb sich die rechte Hand. Nachdem er auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, startete der Fahrer den Wagen und fuhr los.
Rosanne wusste, dass er zurückgegangen und den Mann geschlagen hatte. Sie empfand Stolz. Hätte sie die Kraft besessen – sie hätte sich persönlich gerächt.
Müdigkeit hüllte sie ein. Eines musste sie noch wissen, bevor sie sich dem Schlaf überließ. „Hernán? Wie geht es Hernán?“
„Er ist im Krankenhaus. Die Ärzte sagen, er kommt wieder ganz in Ordnung, dank dir und deinem Anruf …“
Die Stimme wurde immer leiser, und bald war sie nicht mehr zu hören.
Rosanne wachte erst wieder auf, als Isandro sie ins Haus trug. Sie protestierte, bat, nach Zac sehen zu dürfen, aber er wollte nichts davon hören.
„Es geht ihm gut“, versicherte er ihr. „Ana-Lucía badet und füttert ihn.“
In seinem Badezimmer setzte er sie auf dem Wannenrand ab und kramte in einem kleinen Verbandskasten nach Wattestäbchen und Desinfektionsmittel. Dann kniete er vor ihr nieder und tupfte ihre Lippe ab. Der Schmerz war scharf und brennend, glücklicherweise aber schnell wieder vorbei.
Rosanne schaute an sich hinunter. Ihre Kleidung war völlig verschmutzt, ihr T-Shirt mit Blut verschmiert.
„Du musst gefroren haben. Die Hütte befand sich sehr hoch in den Bergen.“
Sie schüttelte den Kopf. Von Kälte hatte sie nichts gespürt. „Nein … es war nicht kalt. Ich musste doch Zac warm halten … ich …“ Wie aufs Stichwort begannen ihre Zähne zu klappern, als sei die Frage nötig gewesen, um ihre eiserne Selbstkontrolle zu durchbrechen.
Ein seltsamer Ausdruck huschte über Isandros Gesicht. „Ich bin gleich wieder da“, murmelte er und ging aus dem Bad.
Rosanne stand auf und betrachtete sich im Spiegel. Ihre Augen wirkten riesig in dem leichenblassen Gesicht. Die Wunde auf ihrer Lippe pochte schmerzhaft. Mechanisch räumte sie den Verbandskasten ein.
„Lass … ich kümmere mich darum. Setz dich wieder hin.“
Sie hatte ihn gar nicht zurückkommen hören. Gehorsam setzte sie sich und akzeptierte das Glas Brandy, das er ihr reichte. Die goldgelbe Flüssigkeit brannte in ihrer Kehle und erfüllte sie mit Wärme.
„Es tut mir leid. Das wäre nie passiert, wenn … Ich kann nicht fassen, dass ich Zac einer solchen Gefahr ausgesetzt habe.“
Wieder kniete Isandro vor ihr nieder. „Hör auf. Mir hätte es genauso passieren können“, sagte er ernst.
Sie schüttelte den Kopf. „Trotzdem, sie haben mich ausgewählt, weil sie wussten …“
Er legte einen Finger auf ihre Lippen.
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