Julia Extra Band 0300
gewöhnen. Und sie brauchte Ruhe, um zu entscheiden, wo ihre Zukunft lag. Hierzubleiben war deshalb nicht ratsam. In Cades Nähe konnte sie nicht klar denken.
Kurzentschlossen packte sie eine Tasche und fuhr nach Hause, wo sie die Tür hinter sich abschloss und in den nächsten Sessel sank. Es war ungewohnt hier ohne ihren Vater, und der Gedanke, dass er nie wieder nach Hause kommen würde, tat weh. Aber ihr Leben würde sich auch in anderer Hinsicht verändern. Schon jetzt liebte sie dieses kleine Wesen, das da in ihr heranwuchs, mehr als alles auf der Welt. Ständig überlegte sie, ob es ein Junge oder ein Mädchen werden würde. Obwohl das Geschlecht völlig unwichtig war.
Später wälzte sie sich trotz ihrer Übermüdung schlaflos im Bett herum. Als sie es in den frühen Morgenstunden endlich geschafft hatte einzuschlafen, hämmerte jemand lautstark gegen die Tür. „Simone! Mach auf! Simone!“
Mit einem lauten Aufstöhnen rollte sie sich vom Bett und ging ans Fenster. Unten auf der Veranda stand Cade und gebärdete sich wie ein gereizter Stier.
„Sschch, sei leise, du weckst die Nachbarn!“, rief sie mit gesenkter Stimme.
„Mach sofort auf, sonst trete ich die Tür ein!“, brüllte er.
Simone schlüpfte in einen Baumwollmorgenrock und lief nach unten. Sobald sie den Schlüssel im Schloss gedreht hatte, drückte Cade die Tür auf und stürmte ins Haus. Er sah aus, als ob er eine ebenso unruhige Nacht hinter sich hatte wie sie. „Was willst du hier?“, fragte sie.
„Liegt das nicht auf der Hand?“, blaffte er. „Ich hätte gern eine Erklärung dafür, warum du mir nicht schon längst von meinem Kind erzählt hast.“
Unbehaglich wand sie sich unter seinem Blick. „Ich wusste einfach nicht, wie ich mich verhalten soll. Bestimmt denkst du, ich habe es absichtlich gemacht. Aber das stimmt nicht. Ich will nicht, dass du dich für den Rest deines Lebens an mich gebunden fühlst, verstehst du?“
Auf Cades Gesicht spiegelte sich Fassungslosigkeit. „Heißt das, dass du dieses Kind nicht willst? Du denkst doch nicht etwa an Ab…“
„Natürlich nicht“, fiel Simone ihm heftig ins Wort. „Wofür hältst du mich?“
In Cades Kopf ging alles drunter und drüber. Hinter ihm lag die schwärzeste Nacht seines Lebens. Ein Kind! Sein Kind! Er konnte es immer noch nicht fassen. Wie hatte er bloß so leichtsinnig sein können? Nicht im Traum hatte er sich vorstellen können, Vater zu werden, zumindest jetzt noch nicht. Noch lange nicht.
Gleichzeitig aber machte er in diesen dunklen Stunden eine höchst überraschende Entdeckung. Eine Entdeckung, von der er Simone unbedingt erzählen musste – auch wenn er sich nicht sicher war, ob sie ihm glauben würde.
„Wir müssen reden“, sagte er.
Sie nickte und ging voran ins Wohnzimmer, wo sie ihm einen Sitzplatz anbot.
„Wie lange weißt du es schon?“, fragte er.
„Ungefähr seit einer Woche, ich weiß nicht genau.“
„Und wann wolltest du mir die frohe Botschaft überbringen? Oder war geplant, mich ahnungslos nach England zurückkehren zu lassen?“ Obwohl er sich bemühte, sachlich zu klingen, hörte er den Vorwurf in seiner Stimme. Kein Wunder. Sie hatte kein Recht gehabt, ihm ihr Wissen vorzuenthalten.
„Ich weiß nicht genau“, erwiderte Simone leise.
„Wie aufschlussreich“, bedankte er sich höhnisch. Und nach einem kurzen Schweigen fuhr er fort: „Verdammt, Simone, was hast du dir gedacht? Dass ich dich im Stich lasse? Falls ja, weiß ich wirklich nicht, wie du darauf kommst. Diese Sache betrifft mich genauso wie dich. Das müssen wir gemeinsam meistern, ob es uns passt oder nicht.“
Da sie immer noch schwieg und nur reglos aus dem Fenster starrte, ging er zu ihr, legte er ihr die Hand unters Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich. Sie wirkte unglücklich, und doch war da ein Strahlen in ihren Augen … das Glück einer werdenden Mutter?
Was immer es auch sein mochte, es ging ihm unter die Haut. Sein Herz war plötzlich mit Musik erfüllt. So etwas hatte er noch nie im Leben verspürt. Auf einmal war er nicht mehr der rationale, knallhart kalkulierende Geschäftsmann, sondern ein werdender Vater, randvoll mit Liebe und Wärme und Optimismus.
„Simone“, sagte er leise und fast demütig. „Ich liebe dich.“ Die Worte kamen ihm viel selbstverständlicher über die Lippen als erwartet. Weil es die Wahrheit war. Er liebte Simone. Er hatte sie immer geliebt, obwohl er zu stur gewesen war, um diese Erkenntnis zuzulassen.
Vor
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