Julia Extra Band 0301
niedrigen Balken einen ganz eigenen Charme besaß.
Mit Bea auf der einen Hüfte und zwei Taschen in der Hand wünschte Mary sich allerdings, und nicht zum ersten Mal, mehr modernen Komfort. Zum Beispiel einen Lift!
Auf dem Weg nach oben ließ sie sich das Wohnungsproblem durch den Kopf gehen. Ihre Mutter wirkte zum ersten Mal seit Monaten wieder glücklich bei der Aussicht, sich mit ihrem Mann zu versöhnen. Das konnte aber nur klappen, wenn die beiden ungestört Zeit miteinander verbringen konnten.
Wenn sie, Mary, ihr Geld von Alan zurückbekäme, hätte sie auch kein Problem. Allerdings fragte sie sich mittlerweile, ob es jemals dazu kommen würde. Sie hatte ihre Ersparnisse in das Büro investiert, was nur möglich gewesen war, weil sie bei ihrer Mutter mietfrei wohnen konnte.
Sie hatte die Gründung einer Personalagentur für eine gute Idee gehalten, denn diese würde ihr ein Einkommen sichern und ihr genug Zeit für Bea lassen. Nur war es noch nicht so weit, dass die Firma Profit machte!
Vielleicht muss ich mir vorübergehend einen Job suchen, überlegte Mary. Das würde ihre momentanen Schwierigkeiten jedoch nicht beseitigen. Sie müsste genug verdienen, um Bea bei einer Tagesmutter unterzubringen und um eine Wohnung zu mieten. Vor allem brauchte sie sofort eine größere Summe für Kaution und Mietvorauszahlung, und wie sollte sie die auftreiben – außer durch einen Banküberfall?
Während sie sich noch den Kopf darüber zerbrach, mühte sie sich die letzten Stufen hoch und blieb wie gelähmt auf dem Treppenabsatz stehen, als sie sah, wer vor der Tür ihres Büros auf sie wartete.
Ihr Herz begann wie rasend zu pochen. Tyler Watts war der Letzte, den sie hier erwartet hätte. Er wirkte so missmutig wie immer – und nahezu überwältigend in dem kleinen Vorraum.
Mary war sich plötzlich überdeutlich bewusst, dass ihr Rock verknittert und ihr Haar nicht gewaschen war. Außerdem hatte sie nicht einmal Lippenstift aufgelegt, denn sie hatte nach einer unruhigen Nacht morgens verschlafen und in fliegender Hast sich und Bea fertig gemacht.
Ihre Mutter konnte sich wegen des bevorstehenden Treffens mit ihrem Mann nicht um die Kleine kümmern, die zurzeit leider selten durchschlief.
Auch ohne die Sorgen wäre Mary nach einer solchen Nacht erschöpft gewesen. Sie selbst hatte lange wach gelegen und sich immer wieder gewünscht, sie hätte bei dem Gespräch mit Tyler Watts nicht die Beherrschung verloren. Na gut, er hatte sie zu erpressen versucht – aber immerhin nur zu einem Beziehungstraining, nicht zu illegaler Prostitution oder Ähnlichem.
Wäre es denn so schwierig gewesen, ihm Tipps zu geben, wie man eine funktionierende Beziehung aufbaute? Mit ihren Freundinnen redete sie ja auch oft genug bei einem Glas Wein über dieses Thema.
Als Gegenleistung hätte Tyler Watts sie mit seinem Personalchef bekannt gemacht. Sie hätte die Chance bekommen, mit ihm einen Vertrag zu schließen, der ihre Agentur retten konnte.
Aber nein, sie hatte moralisch rechtschaffen und herablassend reagieren müssen, nur weil er sie aus dem inneren Gleichgewicht brachte.
Und jetzt auch wieder, wie Mary reuig feststellte. „Was wollen Sie denn hier?“, fragte sie schroff.
Tyler blickte von ihr zu Bea. „Sie haben ein Baby!“
„Ist er nicht scharfsinnig?“, fragte sie sarkastisch und nahm Bea auf den anderen Arm. „Wir können ihm nichts vormachen. Stimmt’s, Bea?“
„Ist das Ihre Tochter?“
„Ja, das ist sie. Und bevor Sie fragen … Nein, ihr Vater ist nicht in der Nähe.“ Sie versuchte, mit einer Hand den Schlüsselbund aus der Schultertasche zu holen.
Nachdem ich ihn einen Grobian, Erpresser und Gefühlskrüppel genannt habe, hat es jetzt wohl nicht mehr viel Sinn, mich bei ihm lieb Kind zu machen, sagte Mary sich müde und frustriert.
„Was wollen Sie hier?“, wiederholte sie, um nichts freundlicher.
„Mit Ihnen sprechen“, antwortete er und blickte vielsagend auf seine Armbanduhr. „Fangen Sie immer so spät an?“
„Nein“, antwortete sie und kramte noch immer nach dem Schlüssel. „Es war nur einer von diesen Morgen, an denen nichts richtig klappt.“
Wo, zum Kuckuck, war der Schlüssel? Gestern hatte sie ihn noch gehabt, in dieser Tasche, da sie keine Zeit gehabt hatte, sie umzupacken. Nun machte sie schon wieder keinen kühlen, professionellen Eindruck auf Tyler Watts! Er stand da und wartete ungeduldig, dass sie ihm endlich die Tür aufmachte. Die unfreundliche Begrüßung hatte ihn
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