Julia Extra Band 0301
eine mittelalterliche Stadt, es war sein Zuhause. Wollte er Tara wirklich in sein Zuhause bringen, sie seinen Leuten vorstellen, all seinen Dienstboten? Wenn sie angeblich ein so anständiger und mitfühlender Mensch war, wie hatte sie dann ihre Schwester derart betrügen können? Und Freya … Nun, Freya war alles andere als perfekt gewesen, aber weshalb sollte sie ohne Grund den Namen der Schwester in den Schmutz ziehen? Stimmte es vielleicht doch, was die Zeitungen geschrieben hatten? Dass Tara nämlich Guy – oder besser, Guys Bankkonto – unwiderstehlich gefunden hatte?
Mit den wachsenden Zweifeln kam Lucien auch der Gedanke, dass er sich vielleicht zum ersten Mal im Leben von einer Frau um den Finger wickeln ließ.
„Wir sehen uns dann unten“, sagte er brüsk.
Zuerst kümmerte Tara sich darum, dass Liz und Poppy sicher in der geräumigen Limousine saßen, bevor sie ebenfalls einstieg. Sie war sowohl freudig gespannt wie auch nervös, dass sie nun Luciens Zuhause kennenlernen sollte. Es war eine Sache, sich auf einer Pressekonferenz für Poppys Wohl stark zu machen, eine ganz andere war es, sich in die Höhle des Löwen zu begeben. Außerdem war sie nicht gerade oft auf mittelalterlichen Burgen, sodass sie sich kaum vorstellen konnte, was genau sie erwartete. Um ehrlich zu sein, es war ihr erstes Mal. Falls überhaupt, so sah sie nur das Bild von dicken grauen Mauern vor sich, von denen gruselige Steinwesen Wasser spieen.
Das Einzige, worauf es ankam, so versuchte sie sich einzureden, während sie darauf warteten, dass Lucien zu ihnen stieß, war doch die Frage, ob Ferranbeaux das Richtige war, um ein kleines Mädchen großzuziehen.
Wirklich?
Taras Mund wurde trocken, als Lucien in Sicht kam und sich dann vorn neben den Chauffeur setzte.
Sie war verrückt, wenn sie das wirklich glaubte.
Die Haarnadelkurven der Bergstraße machten es unmöglich, einen längeren Blick auf das von einer Stadtmauer umgebene Ferranbeaux zu werfen, bis sie praktisch weit oberhalb der Stadt waren. Während Tara aus den getönten Scheiben der Limousine hinaus in die einfallende Dunkelheit blickte, konnte sie Umrisse in der Ferne ausmachen.
„Ist das etwa ein Schloss?“ Aufregung erfasste sie, trotz ihres festen Vorsatzes, ruhig und gelassen zu bleiben. Es war schwer, sich ungerührt zu geben, wenn man sich plötzlich vor einem Märchenschloss wiederfand. Sie konnte spitze Türme und unzählige Zinnen erkennen, die irdenen Dachschindeln schimmerten rot in der untergehenden Sonne. Es wirkte tatsächlich wie ein Dornröschen-Schloss … und – wie Tara befürchtet hatte – es war gänzlich von einer hohen Mauer eingeschlossen.
„Das ist mein Zuhause“, erklärte Lucien. „Gefällt es dir?“
Ob es ihr gefiel? Eine von einer Mauer eingeschlossene Stadt, beherrscht von einer Burg, die wie ein Juwel ganz oben auf dem Gipfel eines Berges saß? Und doch gefiel es ihr, sogar sehr. Wie Lucien, so schien auch die Stadt unendlich viele Geheimnisse zu bergen. „Das ist also deine Hütte in den Bergen“, murmelte sie.
„Damit kann man nicht unbedingt prahlen, oder?“, behauptete er und ging damit auf Taras unterschwellige Ironie ein.
„Nicht?“ Sie konnte sich das Lächeln nicht verkneifen. „Und du lebst tatsächlich in dem Schloss?“
„Ja.“
Sein dunkler Blick ging ihr durch und durch. „Das muss angenehm sein.“ Krampfhaft bemühte sie sich, auf etwas anderes als auf seine Lippen zu schauen.
„Sehr sogar.“
Sie war froh, dass Lucien jetzt aus dem Fenster sah, denn ihr Blick wanderte unweigerlich wieder zu ihm hin. Ihn und Schloss Ferranbeaux umgab die gleiche Mischung von drohender Gefahr und zauberhafter Magie, und es hätte nicht besser passen können.
Die Limousine fuhr langsam über eine hölzerne Brücke, die über einen trockengelegten Burggraben führte. Tara hatte das Gefühl, in der Zeit zurückversetzt zu werden. Jeder Meter brachte sie tiefer in Luciens Reich hinein. Geriet sie auch mit jedem Meter mehr unter seine Kontrolle? Sie erschauerte leicht. Ganz gleich, welche Vorsätze sie auch gefasst hatte, sie war erst zwanzig. Erfahrung mit Männern hatte sie kaum, während Lucien der mächtige Herr von Ferranbeaux war, ein Mann mit Erfahrung, enormer Macht und einem riesigen Vermögen. Das konnte man wohl kaum einen fairen Kampf nennen.
Hinzu kam noch, dass ihr verräterischer Körper bei jeder Gelegenheit auf Luciens Sinnlichkeit reagierte. Der Graf hatte Gelüste in ihr geweckt, von deren
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