Julia Extra Band 0301
Existenz sie nie geahnt hatte. Realistisch betrachtet … wie lange würde sie ihm widerstehen können?
Tara betrachtete ihn heimlich von der Seite. Er verkörperte eine zeitlose Macht und fügte sich nahtlos in dieses raue Terrain ein, über das er herrschte. Sie sehnte sich nach ihm, obwohl ihr klar war, dass sie niemals sein Herz berühren könnte. Und sie hatte nicht vor, als Geliebte zu enden.
Entschlossen hob sie das Kinn. Irgendwie musste sie einen Ausweg finden. Sie schaute aus dem Fenster, und plötzlich fiel ihr etwas auf. Sie war dankbar für die Ablenkung von den trüben Gedanken. Überall hingen bunte Fahnen und Banner und zeugten davon, dass Ferranbeaux auch ein fröhlicher Ort war.
„Hat hier vor kurzem ein Fest stattgefunden?“, fragte sie.
„Aber ja“, erwiderte Lucien. „Die Menschen heißen Poppy willkommen.“
Wie schön. Dennoch erinnerte es sie nur daran, dass sie sich schon bald von Poppy trennen musste, vielleicht für immer. Luciens Zuhause mochte wie ein Schloss aus dem Märchen aussehen, doch es war nicht ihr Zuhause.
Ihre Augen wurden groß vor Staunen, als die Limousine durch das goldene Tor auf einen mit Kopfstein gepflasterten Innenhof fuhr und schließlich vor einer breiten Außentreppe zum Stehen kam. Ihre Fantasie malte Bilder von elegant gekleideten Gästen, die aus ihren noblen Karossen ausstiegen – die Damen in Seide und Satin, ihre männlichen Begleiter in Smoking oder Frack …
„Tara?“
Luciens Murmeln rief ihr ins Bewusstsein, dass der Chauffeur die Wagentür für sie offen hielt. Sie nahm sich zusammen und versuchte mit so viel Würde wie möglich auszusteigen.
„Das ist wirklich sehr beeindruckend.“ Voller Ehrfurcht schaute sie an der Fassade empor. Es war das erste Mal, dass sie ein Schloss besuchte. Sie gehörte nicht hierher, auch wenn Lucien völlig entspannt war – verständlicherweise, schließlich war es sein Reich.
Er zuckte nur unmerklich mit einer Schulter. „Also, was hältst du von Poppys neuem Zuhause?“
Instinktiv suchte Tara die Nähe zu dem Baby. „Ich nehme sie“, sagte sie zu Liz und hob die Kleine auf ihre Arme. Sie schluckte. Lucien brauchte sie nicht daran zu erinnern, dass ihre Zeit mit Poppy ablief. Jeder einzelne Moment mit ihrer Nichte rann ihr wie Sand durch die Finger.
„Sollen wir hineingehen?“
Tara starrte auf das Eingangsportal aus schwerem Eichenholz. Die hohen Türen wirkten mächtig genug, um jeder Belagerung standzuhalten. Keine Armee würde hineingelangen – aber auch niemand hinaus. Ein Schauder überlief sie, doch sie nickte stumm und folgte Lucien. Wohin hätte sie auch sonst gehen sollen?
Schützend presste Tara Poppy an sich und küsste das Baby zärtlich auf die Stirn. Sie musste einfach darauf hoffen, dass ein Gericht ihr bescheidenes Heim in England nicht mit dem hier vergleichen würde. Was bedeutete, dass sie an ein Wunder glauben musste. Sie war stolz auf das kleine anheimelnde Nest, das sie sich geschaffen hatte. Doch es wäre mehr als verständlich, wenn ihre Wohnung nicht als passender Ort angesehen würde, um die adelige Nichte des Grafen von Ferranbeaux aufzuziehen.
„Das ist dein neues Zuhause“, flüsterte sie Poppy zu. Sie wollte ihre Ängste nicht auf das Kind übertragen. „Ist es nicht hübsch?“
Und ja, das Schloss war hübsch und noch so viel mehr. Das alte Gemäuer schimmerte silbern im ersten Mondlicht. Der frische Duft des Regens hing noch in der Luft, die nasse Erde setzte die Aromen des riesigen Gartens frei. So sehr Tara widerstehen wollte, ebenso wie Lucien zog auch Schloss Ferranbeaux sie sofort in seinen magischen Bann.
Aber sie durfte sich gar nicht erst verzaubern lassen. Hier ging es nur darum, zu überprüfen, ob es ein gutes Heim für Poppy bieten würde. Mit diesem vernünftigen Entschluss stieg sie die erste Stufe hinauf – und dann fasste Lucien nach ihrem Arm. Natürlich wusste sie, es war nur eine höfliche Geste, sie sollte nicht stolpern, dennoch durchfuhr es sie bei seiner Berührung wie ein Stromstoß. Sie lächelte ihm dankend zu, doch als das Portal aufschwang und sie des Schlosspersonals gewahr wurde, die sich alle in einer Reihe aufgestellt hatten, um den Hausherrn zu Hause willkommen zu heißen, da wusste Tara, dass ihre wahre Prüfung jetzt erst begann.
8. KAPITEL
Tara hielt sich an dem Gedanken fest, dass das Schloss eine wesentlich bessere Umgebung für Poppy war als das hypermoderne Penthouse, das Guy auf Freyas Wunsch hin gekauft hatte.
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