Julia Extra Band 0301
unter der Dusche. Ihr Herz hämmerte wild vor Aufregung, und in ihrer Fantasie malte sie sich die schönsten Träume aus.
Nun, mit dem einzigen Kleid, das sie mitgebracht hatte, streifte sie auch wieder ihre Vernunft über. Zwei Telefonate musste sie noch erledigen, bevor sie in die flachen Sandaletten schlüpfen und nach unten gehen würde.
Der erste Anruf verlief zufriedenstellend, doch der zweite machte sie richtig wütend. Sie hatte einen Besichtigungstermin für ein kleines Apartment ausmachen wollen, musste dann erfahren, dass Frauen in Ferranbeaux keine Wohnungen anmieten konnten. Für einen Mietvertrag wurde die Unterschrift eines Mannes benötigt.
In welchem Jahrhundert lebte man denn hier?!
Lucien duschte eiskalt. Die Temperatur des Wassers passte zu seiner Stimmung. Sein ganzes Leben lang hatte er Gefühle gemieden, und dann kam Tara und brach durch seine Schutzmauern!
Er stellte die Dusche ab und rieb sich energisch mit dem Badelaken trocken. Hatte sie seine Einladung, im Pförtnerhaus zu bleiben, nur deshalb ausgeschlagen, weil sie auf mehr aus war? Und verschloss er etwa die Augen vor der Tatsache, dass sie aus dem gleichen Nest wie Freya stammte? Bei der Unmenge Menschen, die von ihm abhingen, konnte er es sich nicht leisten, den gleichen Fehler wie Guy zu machen. Die Bürger von Ferranbeaux erwarteten von ihrem Grafen, dass er sich eine Frau nahm und keine Geliebte.
Guy hatte den Titel abgelehnt, weil damit zu viel Verantwortung einherging. Das Familienvermögen hatte er natürlich dankbar akzeptiert, während Lucien die Verantwortung übernommen hatte, wohl wissend, dass er sein ganzes Leben danach würde ausrichten müssen. Er würde jetzt nicht seine Pflicht gegenüber seinen Landsleuten vergessen. Wie konnte er alles für Tara riskieren, wenn er sich ihrer nicht hundertprozentig sicher war? Wenn er heiratete, dann würde es für das Wohl seines Volkes sein. Herzensangelegenheiten hatte er immer für eigennützig gehalten, und er würde diese Überzeugung jetzt nicht ändern. Ferranbeaux stand für ihn an erster Stelle.
Er stützte die Hände auf den Marmor des Waschbeckens und musterte den Mann im Spiegel. Die Erfahrungen in seinem Leben hatten ihn misstrauisch gemacht, so sehr, dass er das Gute in einem Menschen gar nicht mehr erkennen konnte. Noch jetzt wurde ihm übel, wenn er an die Forderungen und unbezahlten Rechnungen dachte, mit denen Bekannte und Geschäftspartner von Guy nach dessen Tod an ihn herangetreten waren. Er hatte sie alle beglichen, nur damit er die Leute loswurde. Aber der schale Nachgeschmack war geblieben.
Der heutige Nachmittag mit Tara und Poppy hatte seine Gedanken auf etwas anderes gelenkt. Er regierte über eine Region, in der noch immer eine uralte Rechtsordnung herrschte. Er brauchte seine gesamte Energie, um die Landesgesetze zu modernisieren. Er hatte keine Zeit, um sich auf einen Rechtsstreit mit Freyas Schwester einzulassen.
Lucien zog Jeans und ein frisches Hemd an und kämmte sich nur mit den Fingern das nasse Haar. Tara wühlte ihn auf. Sie war nicht mehr das unerfahrene Mädchen von vor zwei Jahren, auch nicht mehr die unsichere junge Frau, die er im Hotel angetroffen hatte. Unter dem Druck war sie lebendig geworden, und das freute ihn für sie. Aber wenn sie weiter in Ferranbeaux bleiben wollte, standen seine Bedingungen fest.
Der Wunsch nach frischer Luft war ihr gründlich vergangen!
Ängstlich hielt Tara sich an einer Eisenstange fest. Mit einem so starken Wind hier draußen hätte sie niemals gerechnet. Sie hatte geglaubt, von dem Festungswall des Schlosses einen besseren Blick auf die Lichter der Stadt bei Nacht werfen zu können, aber irgendwie war sie jetzt auf einer wackeligen Holzplanke gelandet, die sie sich lieber gar nicht vorstellen wollte – vor allem nicht, wenn dieser Holzsteg über einen Abgrund führte und das Holz bei jedem Windstoß bedenklich knarrte. Sie dachte an Poppy, die sicher in ihrem Bettchen schlief. Sie würde nichts mehr für Poppy tun können, wenn sie abstürzte. Und die Presse hätte ein gefundenes Fressen. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als die Stange loszulassen und sich langsam und vorsichtig zurückzuarbeiten.
Der erste Schritt, den sie tat, ging ins Leere. Gellend schrie sie auf.
„Beweg dich nicht! Ich komme zu dir und hole dich!“
„Lucien …“ Sie wagte nicht einmal, sich umzudrehen. „Hält die Planke denn unser beider Gewicht aus?“
„Was meinst du?“, knurrte er. „Soll ich dich
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