Julia Extra Band 0302
Zielstrebig kletterte sie weiter. Als sie näher kam, sah sie, dass das Bootshaus mit einem festen Vorhängeschloss gesichert war. Plötzlich entdeckte sie Jonas, der auf einem breiten Felsen saß und sein Gesicht der Sonne entgegenstreckte.
„Dir ist eingefallen, dass ich irgendwo ein Boot liegen habe, nicht wahr?“, bemerkte er ungerührt.
Entnervt kehrte sie ihm den Rücken zu und sah auf das glitzernde Wasser. „Ich habe es satt, Spielchen zu treiben. Du kannst mich nicht daran hindern, diese Insel zu verlassen.“
„Ich bringe dich, wohin du willst. Vorausgesetzt, du redest mit mir“, bot er an.
„Was erwartest du von mir?“
Seine blauen Augen trafen auf ihre, sogar auf die Entfernung erkannte sie die Stärke in seinem Blick. „Lori. Du kannst damit anfangen, mir von ihr zu erzählen.“
Der Schock fuhr ihr durch die Glieder, als der Name ihrer Freundin über seine Lippen kam. Sie wurde blass. „Wer hat dir von Lori erzählt?“, fragte sie matt.
„Deine Mutter. Nachdem du mich nicht mehr sehen wolltest, habe ich sie angerufen. Wir hatten ein langes und sehr aufschlussreiches Gespräch.“
Aimi spürte neuerliche Wut in sich aufsteigen. Ihr Herz schlug heftig. „Ich bin überrascht, dass du dich für meine Freunde interessierst.“
„Darling, mich interessiert alles, was dich betrifft. Besonders Gründe, warum du einige Dinge tust und andere lässt.“
Die Wahl seiner Worte schnürte ihr die Kehle zu. „Was meinst du damit?“
Jonas stand auf und ging einige Schritte auf sie zu. „Ganz einfach: Es stimmt nicht, dass du mich nicht liebst. Der Grund ist, dass du dir selbst nicht erlaubst, mich zu lieben. Warum? Was ist an dem Tag geschehen, als du deinen Unfall hattest? Was hat Loris Mutter zu dir gesagt, das dich so aus der Bahn geworfen hat?“
Aimi war so angespannt, dass sie kaum atmen konnte. „Das spielt keine Rolle“, antwortete sie knapp, doch Jonas schüttelte den Kopf.
„Das stimmt nicht. Es ist sogar sehr wichtig. Seit du sie getroffen hast, bist du nicht mehr die warmherzige, liebevolle Frau, die ich kannte. Lass nicht zu, dass sie solche Macht über dich hat.“
Sie lachte. Ein grelles Lachen, das sein Blut in den Adern gefrieren ließ.
„Du verstehst nicht. Ich selbst bin der Grund, nicht sie.“
„Was hast du denn getan?“
Aimi schüttelte den Kopf und schloss die Augen, weil sie den aufwallenden Schmerz nicht ertragen konnte. „Wie könnte ich glücklich sein, während Lori tot ist?“
„Warum solltest du nicht?“, gab er die Frage zurück, und sie starrte ihn entgeistert an. „Es ist schlimm, was deiner Freundin zugestoßen ist, doch du lebst, Aimi.“
„Sag so etwas nicht!“ Hilflos und zornig hämmerte sie mit den Fäusten gegen seine Brust. „Verstehst du nicht? Ich habe Lori umgebracht. Ich habe meine beste Freundin getötet!“
„Die Lawine hat sie in den Tod gerissen, nicht du“, korrigierte er sie.
In ihren Augen standen Schmerz und Wut. „Sie wäre nicht dort gewesen, wenn ich es nicht vorgeschlagen hätte. Sie ist mir überallhin gefolgt.“
Jonas sah sie lange an. „Warum ist sie dir dann an jenem Tag nicht gefolgt?“
Die Frage verwirrte sie. „Was meinst du?“
„Wenn Lori dir gefolgt wäre, hätte auch sie überlebt. Warum hat sie es nicht getan?“ Er schüttelte sie. „Warum, Aimi?“
Aimi versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. „Ich … ich weiß es nicht“, sagte sie heiser, doch Jonas ließ nicht locker.
„Du weißt es. Warum ist sie dir nicht gefolgt?“
Plötzlich hatte Aimi wieder das Bild vor Augen. Lori, die nicht versucht hatte, sich auf der anderen Seite der Lawine in Sicherheit zu bringen, sondern vor den heranrauschenden Schneemassen her weiter abgefahren war. Plötzlich wurde ihr alles klar. „O Gott, verrückte Lori“, stöhnte sie. „Sie hat versucht, schneller zu sein als die Lawine.“
Dann verließen sie die Kräfte, und sie sank in Jonas Arme. Wortlos trug er sie durch den Wald zurück zum Haus. Dort legte er sie behutsam auf die Couch und deckte sie mit einer dicken Wolldecke zu.
„Ich koche dir Tee“, sagte er liebevoll und strich ihr sanft über das Haar, ehe er in der Küche verschwand.
Aimi stand so sehr unter Schock, dass sie unfähig war, sich zu bewegen. All die Jahre hat sie mit dem Bewusstsein gelebt, dass sie schuld sei an Loris Tod. Und plötzlich stellte sich heraus, dass Lori sich einfach überschätzt hatte. Natürlich war es gefährlich gewesen, abseits der Pisten zu
Weitere Kostenlose Bücher