Julia Extra Band 0316
entschuldigte Cameron sich bei Alice. Er neigte sich zu ihr und küsste sie auf die Wangen.
Sie murmelte etwas Unverständliches, denn plötzlich schien sie die Fähigkeit verloren zu haben, ganze und sinnvolle Sätze zu bilden.
Zwei Kellner eilten an den Tisch, und Cameron bestellte, ohne die Speisekarte zu Rate zu ziehen. Alice ließ ihn alles allein entscheiden. Sie wusste ohnehin nicht, was „ballotine de lapin“ oder eine „Sellerieroulade“ waren. Und dabei handelte es sich erst um die Vorspeisen!
Cameron schien sich in dieser Umgebung ganz zu Hause zu fühlen. Ja, das hier war seine Welt.
Irgendwie hatte Alice bisher nicht wirklich registriert, dass er es zum millionenschweren Unternehmer gebracht hatte. Nun wurde diese Tatsache ihr deutlich vor Augen geführt, und es war ein Schock für sie.
Nachdem sie die Vorspeisen genossen hatten, fingen sie an, über den Ball zu sprechen. Sie berichtete, was Jennie bereits unternommen hatte, und was sie selbst noch zu tun gedachte. Er war mit allem einverstanden, und trotzdem konnte sie sich in seiner Gegenwart nicht entspannen.
Plötzlich sah sie ihn mit ganz anderen Augen als noch beim letzten Mal auf der Baustelle seines neuen Firmensitzes.
Wenn Cameron noch Spuren des ernsthaften, sensiblen jungen Manns von vor zwölf Jahren bewahrt hatte, merkte man es ihm heute nicht an. Er war auf ruhige Weise charmant, er strahlte Selbstbewusstsein aus und ihn umgab eine subtile Aura von Macht. Seine Qualitäten an die große Glocke zu hängen, hatte er ganz offensichtlich nicht nötig.
Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden war ihm sicher, vor allem die der Frauen. Auch Alice fühlte sich wie magnetisch von ihm angezogen, allerdings hatte sie jetzt das Gefühl, dieser Cameron sei ein Fremder.
Das war vielleicht gut so. In den nächsten Wochen würde sie seine Angestellte sein, und es war ratsam, sich auf die Arbeit anstatt auf den Boss zu konzentrieren.
Trotzdem begann es sie im Verlauf des Essens zu ärgern, dass Cameron sie ausschließlich wie eine Geschäftspartnerin behandelte und alles andere ausklammerte. Immerhin tat sie ihm einen Gefallen, nicht umgekehrt, indem sie seinen Eröffnungsball rettete! Da wäre ein kleines Lächeln ab und zu durchaus angebracht – und willkommen – gewesen. Aber er war so auf die vorliegende Aufgabe konzentriert, dass er menschliche Gesten offensichtlich komplett vergaß!
Auch als sie nach dem Essen in ihr neues Büro zurückkehrte, besserte sich ihre Laune kaum. Sie telefonierte viel, machte sich massenhaft Notizen, und nach ziemlich kurzer Zeit herrschte auf ihrem Schreibtisch pures Chaos.
Cameron wäre sicher entsetzt, wenn er das sähe.
Beim Gedanken an ihn wurde Alice heiß und kalt, obwohl seine kühle, geschäftsmäßige Art von vorhin sie noch immer ärgerte. Ja, er übte eine ungeheure Wirkung auf sie aus, auch wenn sie nicht mit ihm zusammen war.
Plötzlich merkte sie, wie sie gedankenverloren auf den Notizblocks kritzelte, zwar keine verräterischen Bilder wie Herzen oder die Initialen CH, aber trotzdem.
Ich sollte mich auf die Arbeit konzentrieren, ermahnte sie sich und wählte die nächste Nummer auf der Liste möglicher Floristen.
Am Ende des Tages schwirrte Alice der Kopf, und die Liste der zu erledigenden Aufgaben verschwamm ihr vor den Augen. Rasch verließ sie ihr Büro und ging zum Lift. Als sie in der Kabine stand und die Türen sich schon schlossen, schob jemand seine Hand in den Spalt, und sie öffneten sich wieder.
Alice brauchte nicht aufzublicken, um zu wissen, wer es war. Sie spürte es auch so, da ihre Haut zu prickeln begann und ihr Herz schneller schlug.
Reiß dich zusammen!, ermahnte sie sich.
Cameron nickte ihr bloß zu und stellte sich schweigend neben sie. Für einen Moment hielt sie die Luft an, um die Schmetterlinge in ihrem Bauch zu beruhigen.
„Danke, Alice, für alles, was du für mich tust“, sagte Cameron unerwartet.
Sie hatte Mühe, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen.
„Mir hat das gemeinsame Mittagessen Freude gemacht“, fügte er für sie noch unerwarteter hinzu.
Das hatte man ihm zwar nicht angemerkt, aber weshalb sollte er lügen? Und dann geschah das Unglaubliche: Er lächelte sie strahlend an.
„Irgendwie musste ich mehrmals an unsere Weihnachtsparty denken“, gestand er. „Erinnerst du dich auch noch daran? An die Spiele … und meine Tante Babs mit dem dicken Make-up?“
Plötzlich grinste er jungenhaft … und schien um Jahre jünger zu sein.
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