Julia Extra Band 0316
sie.
Um sich nichts anmerken zu lassen, suchte sie in der Tragetasche nach dem zweiten Geschenk, das sie für ihn besorgt hatte. Als sie hochblickte, hatte er bereits seine Manschettenknöpfe aus den Knopflöchern genestelt und auf den Schreibtisch gelegt. Stücke aus echtem Platin, mit winzigen Brillanten dezent besetzt.
Siehst du, das ist der Grund, warum du deine Schwärmerei für ihn am besten im Keim erstickst, sagte Alice sich streng. Sie schenkte ihm Modeschmuck, dabei konnte er sich jederzeit beim teuersten Juwelier die besten Stücke leisten. Sie lebten nun mal in völlig verschiedenen Welten, und je eher sie die Konsequenzen daraus zog, desto besser.
Für sie zumindest.
Ihm war es sicher völlig egal, was sie für ihn empfand, solange sie ihre Arbeit gut erledigte.
Kurz überlegte sie, ob sie ihm das zweite Geschenk überhaupt geben solle. Dann bemerkte sie, dass er ihre Manschettenknöpfe aufrichtig bewunderte.
„Die gefallen mir wirklich. Sie sind etwas ganz Besonderes“, lobte er.
„Dann könnte dir das hier auch zusagen“, meinte sie und reichte ihm die schwarze Tragetüte, auf der in goldenen Buchstaben „Coreens Couture Cabinett“ stand. Skeptisch schaute er hinein.
„Eine Krawatte!“, bemerkte Cameron erleichtert.
Für ein abgelegtes Stück sah sie gar nicht übel aus: grüne Seide, so dunkel, dass sie beinah schwarz wirkte. Sie würde hervorragend zu dem anthrazitgrauen Anzug passen, den er beim Ball zu tragen beabsichtigte.
„Danke, Alice!“, sagte er herzlich. „Ich passe gut darauf auf und gebe sie dir nach dem Ball zurück.“
Errötend schüttelte sie den Kopf. „Manschettenknöpfe und Schlips wollte ich dir schenken.“
Nun wusste er nicht, was er sagen sollte. Gefühle auszudrücken war nicht sein Ding. In den vergangenen Jahren hatte er von Frauen wesentlich kostspieligere Geschenke als diese hier erhalten, aber keine, die mit so viel Feingefühl ausgesucht worden waren. Die so gut zu ihm passten.
Alice aber kannte ihn nach der kurzen Zeit schon so gut. Das hätte ihn erschrecken und in die Flucht treiben müssen, stattdessen verspürte er etwas wie Erleichterung. Als ob er sich endlich so zeigen durfte, wie er war.
„Wirst du sie denn beim Ball tragen?“, erkundigte sie sich.
Die Frage überraschte ihn. Hielt Alice ihn für so unhöflich, ihr Geschenk zu verschmähen? Selbst, wenn ihm der Schlips nicht gefiele, würde er ihn tragen! Sonst wäre er ja der Einzige, der sich dem Thema des Abends versperren würde … und damit wäre er automatisch ein Außenseiter.
„Natürlich trage ich deine Geschenke beim Ball“, versicherte Cameron nachdrücklich.
„Es ist nur …“, sie zuckte die Schultern und lächelte schief, „dass ich den Eindruck habe, du hättest prinzipiell etwas gegen abgelegte Kleidung und persönliche Gegenstände aus zweiter Hand.“
Da hatte sie sich so viel Mühe gegeben, und er hätte beinah ihre Gefühle verletzt! Nun war er ihr schuldig, zu erklären, warum er ihr diesen, durchaus richtigen, Eindruck vermittelt hatte.
„Komm, setzen wir uns“, forderte er sie auf und führte sie zum Sofa. „Ich möchte dir etwas erzählen. Übrigens kann ich mit dir wirklich gut reden. Es ist einfach sehr angenehm, mit dir zusammen zu sein.“
Sie warf ihm einen unergründlichen Blick zu, setzte sich aber schließlich neben ihn.
„Dass ich auf dem St. Michael Gymnasium war, weißt du ja“, begann Cameron. „Die meisten Leute glauben, es wäre ein Privileg, wenn nicht sogar ein Geschenk des Himmels, auf diese Schule gehen zu dürfen, aber das stimmt nur, wenn man dort hinpasst und akzeptiert wird.“
„Das war bei dir nicht der Fall?“, fragte Alice mitfühlend.
„Richtig!“ Er lachte zynisch.
Im ersten Jahr hatte man ihn halbwegs toleriert, abgesehen davon, dass man ihn als Streber ansah, nur weil ihm das Lernen leichtfiel. Er war aber nicht bereit, sich seinen Klassenkameraden zuliebe dümmer zu stellen, als er war.
Vor allem Fitzroy, Sohn aus bestem Hause, verübelte ihm das und machte sich zum Anführer der Bande, deren Ziel es war, Cameron das Leben an der Schule zur Hölle zu machen.
„Nachdem mein Vater sich abgesetzt hatte, sprach sich ziemlich schnell herum, dass ich ein Stipendium bekam, also quasi ein Fürsorgefall war“, erzählte Cameron weiter. „Die Jungen fingen an, mich zu mobben. Vor allem, als sie hörten, dass ich auch das Mittagessen in der Schule gratis bekam.“
Du Almosenempfänger. Du Verlierer. Du
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