Julia Extra Band 0316
sie meilenweit gelaufen.
„Ja, Alice!“, erwiderte er leise und schien zu lächeln.
Am liebsten hätte sie wieder die Augen geschlossen und ihn einfach weitergeküsst … bis in alle Ewigkeit von ihr aus … aber sie musste sich bremsen, bevor es zu spät war und sie beide sich zu einer absoluten Dummheit hinreißen ließen.
„Wir müssen … ich sollte …“ Sie beendete den Satz nicht, sondern nutzte Camerons Erstaunen aus, um sich von ihm zu befreien und aufzustehen.
Er sah hinreißend aus mit dem zerzausten Haar und diesem verwirrten Blick in den goldbraun gesprenkelten Augen. Den Ausdruck hatten bestimmt erst wenige Menschen bei ihm gesehen!
Rasch wollte sie sich aus seinem Büro zurückziehen.
„Geh noch nicht!“, bat Cameron eindringlich und stand ebenfalls auf.
Alice schüttelte den Kopf. „Ich muss. Das weißt du genauso gut wie ich.“
Dann riss sie die Tür auf und lief den Flur entlang zum Lift, ohne vorher ihren Mantel und die Handtasche aus ihrem Büro zu holen.
Diesmal stieg Cameron nicht im letzten Moment noch zu ihr in die Kabine.
Er war ihr nicht gefolgt. Weil er einsah, dass sie recht hatte.
Zum Kuckuck mit ihm!
Wenige Stunden vor Beginn des großen Eröffnungsballs war Cameron entsetzlich schlecht gelaunt. Seine Assistentin war verschwunden, angeblich um etwas Dringendes zu erledigen, und Alice war auch nirgends zu sehen.
Sie hatte sich seit Donnerstagabend nicht mehr blicken lassen.
Warum nur hatte er sie geküsst?
Bestimmt war sie jetzt im neuen Firmengebäude und kümmerte sich um letzte Einzelheiten, aber er nahm Alice ihre Abwesenheit so übel, als würde sie ihn damit bewusst ärgern wollen.
Wieso war sie vor ihm weggelaufen? Das taten die anderen Frauen nach dem ersten Kuss sonst nicht. Nein, sie warteten, bis er sie leid war und sie wegschickte.
Lieber Himmel, ich bin ja unerträglich, so überheblich und von mir selbst überzeugt, gestand Cameron sich ehrlich ein.
Warum hatte ihn niemand darauf hingewiesen?
Niemand? Alice hatte es getan … indem sie ihn entsetzt angesehen und dann die Flucht ergriffen hatte.
Ja, sie wusste, was aus ihm geworden war.
Er konnte einfach nicht vergessen, wie er sie geküsst hatte. Sonst waren Küsse für ihn Teil der Machtspielchen zwischen ihm und seinen Geliebten. Ein Test, wer von beiden gerade die Oberhand hatte.
Bei Alice war es anders gewesen. Er hatte unüberlegt gehandelt und sich dann dem Moment und seinen Empfindungen ganz hingegeben. Es hatte sich so gut … so richtig angefühlt, sie im Arm zu halten, sie an sich zu pressen und zu spüren, wie schlank und fest sie sich anfühlte.
Und Alice – sie war so aufrichtig! Sie war ganz sie selbst, sie brauchte keine Machtspiele, um sich zu beweisen. Im Gegensatz zu ihm hatte sie kein Image aufgebaut, an das sie sich sklavisch zu halten versuchte, damit nur niemand den wahren Menschen hinter der Fassade entdeckte.
Jedenfalls hatte das Gespräch mit Alice ihm gezeigt, wie weit er es gebracht hatte. Oder sollte er sagen, wie weit es mit ihm gekommen war?
Plötzlich schien alles infrage gestellt, was er erreicht hatte. Hatte es denn überhaupt einen Wert?
Selbst der Ball kam ihm mittlerweile wie ein Zirkus vor, in dem jeder seine Schau abziehen würde. Dass er ihn nicht abgesagt hatte, lag an einem einzigen Grund: Er würde Alice wiedersehen.
Was er dann tun und sagen würde, war ihm völlig unklar. Er wusste nur eins: Er musste sie wiedersehen!
Sich in Fragen der Frisur und des Make-ups gegen Coreen durchzusetzen, ging über Alices Kraft. Seit achtundvierzig Stunden hatte sie gegen die Erinnerung an den Kuss angekämpft, indem sie sich mit ihrer Arbeit völlig verausgabte.
Jetzt war alles perfekt erledigt, und ihr blieb nur noch übrig, sich selbst für den Ball fertig zu machen. Sie sollte doch als Repräsentantin für „Coreens Couture Cabinett“ auftreten, und dazu musste sie tipptopp aussehen.
Ihr Kopf fühlte sich allerdings an, als wäre er mit Watte ausgestopft. Dass sie sich in Camerons Büro im neuen Firmengebäude befand, machte die Sache nicht besser. Natürlich war es die vernünftigste Lösung, da sie zum einen vor Ort war, falls es in letzter Minute noch etwas zu regeln gab. Zum anderen verfügte die Bürosuite über ein durchaus geräumiges Bad und sogar einen kleinen Ankleideraum und bot somit dieselben Annehmlichkeiten wie Coreens Apartment.
Zum Glück war Cameron noch nicht aufgetaucht.
Nein, nicht zum Glück! Alice sehnte sich so sehr danach, ihn
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