Julia Extra Band 0318
genügend Platz für eine Hängematte und einen kleinen Tisch für die Limonade.“
Er würde ihr ein Baumhaus bauen, wo sie den zwitschernden Vögeln so nah war, dass sie sie fast berühren konnte. Außerdem würde er Blumen dort oben pflanzen, die Schmetterlinge anlockten. Am Fuß des Baums könnte er einen einfachen Springbrunnen bauen, sodass sie beim Lesen in der Hängematte das Wasser hörte.
„Das ist viel zu viel“, widersprach sie, aber der Protest klang schwach. Die Sehnsucht, die sie beim Gedanken an das Baumhaus erfasste, war unverkennbar. Welch ein Kontrast zu dem Bild der strengen und zugeknöpften Lehrerin, das sie in der Schule bot! Aber er hatte ja bereits geahnt, dass tief in ihr ein ganz anderes Wesen schlummerte. Die Frage war nur, ob es gut war, diese Seite von ihr ans Licht zu holen. Würde er auch dann noch stark genug sein, ihr zu widerstehen?
„Wir bauen es in verschiedenen Abschnitten, Schritt für Schritt.“ So wäre es leichter für ihn, sich aus allem zurückzuziehen, falls nötig. Wenn er jedoch an ihren strahlenden Blick dachte, wollte er dieses Projekt auf keinen Fall aufgeben. Im Kopf überschlug er die benötigte Zeit. „Wir kommen die nächsten zwei Wochen jeden Tag nach der Schule. Und dann schauen wir, ob Kyle seine Lektion gelernt hat.“
Erst jetzt löste sie ihren Blick vom Baum und sah Ben an. Ihre Augen glänzten. „Es gibt viele Wege, ein guter Lehrer zu sein, finden Sie nicht auch, Ben?“
Sie sagte es sanft, fast bewundernd. Bei jeder anderen Frau wäre ein solcher Satz Flirterei gewesen, eine Aufforderung, das „Spiel“ zu spielen und das Tempo anzuziehen. Aber bei Beth war es ein aufrichtiges Kompliment. Wie ein Pfeil drang es durch den festen Panzer um seine Brust und bohrte sich in sein Herz.
„Danke“, sagte er leise und rief seinen Neffen. „Wir kommen dann morgen, direkt nach der Schule.“
Ben und Beth schauten zu, wie Kyle vom Baum kletterte und zu ihnen kam.
„Morgen geht’s los, gleich nach der Schule. Wir bauen Miss Maple ein Baumhaus“, informierte Ben ihn.
„Echt? Ein Baumhaus? Wahnsinn!“
„Wahnsinn!“, pflichtete Beth ihm bei.
Kyle lächelte. Ein richtiges Lächeln, das so echt war und so viel von Kyles wirklichem Wesen zeigte, dass es Ben rührte. Dann merkte der Junge, dass er zu viel von sich preisgegeben hatte. Schnell setzte er wieder sein kühles und distanziertes Gesicht auf.
Zeit, zu gehen. An diesem Tag war in der Tat viel preisgegeben worden.
4. KAPITEL
Beth stand am Tresen in der Küche und lauschte auf das regelmäßige Hämmern im Garten. Sie überlegte, wie es passiert war, dass ihr geordnetes Leben, das sie sonst fest im Griff hatte, so völlig ihrer Kontrolle entglitt.
„Onkel Ben, hast du noch nie was von Hautkrebs gehört?“
Wie süß, dass Kyle so rührend um seinen Onkel besorgt ist! Doch dann kam ihr ein anderer Gedanke: Ben Anderson ohne T-Shirt? Bei mir im Garten?
„Ich liebe die Gefahr“, rief Ben zurück.
Das ist ja was ganz Neues, dachte Beth ironisch. Nicht aus dem Fenster schauen!
Aber dann tat sie es trotz strengster Selbstermahnung doch – auch das gehörte wohl zu dem Kontrollverlust.
Es war ein herrlicher Tag. Die Septembersonne fiel durch das gelbgrüne Laub und tauchte den Garten in goldenes Licht. Für die Jahreszeit war es noch erstaunlich warm. Der Garten sah schlimmer aus denn je. Überall hatte Ben Linien auf den Rasen gesprüht, große Erdhaufen und abgesägte Äste lagen herum. Dazwischen stapelten sich Baumaterialien.
Dennoch erahnte sie in dem Chaos bereits, was daraus einmal werden würde, und der Gedanke daran machte sie überglücklich. Es stimmte also, dass man die Kontrolle etwas lockern musste, um Raum für Überraschungen im Leben zu schaffen. Wie jene, die gerade in ihrem Garten Gestalt annahm.
In einer Hinsicht durfte sie die Kontrolle selbstverständlich nicht lockern, ganz im Gegenteil. Aber genau hier drohte sie zu scheitern, was der verbotene Blick aus dem Fenster ihr noch einmal deutlich machte.
Was sie sah, löste eine verbotene Erregung in ihr aus. War es möglich, dass das Glücksgefühl der letzten Tage gar nichts mit dem Garten zu tun hatte? Die Erregung jedenfalls hing ganz sicher nicht mit dem Fortschritt der Bauarbeiten zusammen.
Nein, sie war ganz klar Ben Anderson zuzuschreiben, der in der Hitze des Nachmittags sein Hemd ausgezogen hatte.
Sie genoss es, ihn aus der Sicherheit der Küche zu beobachten und sich an ihm sattzusehen. Obwohl sie
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