Julia Extra Band 0319
versuchte zusammenzufassen, wie Luc seine Gefühle beschrieben hatte, doch wie sollte sie? Sie wusste ja kaum etwas. „Er grämt sich sehr über Suzannes Tod.“
„Ich weiß. Mon Dieu , jeder weiß es! Seither geißelt er sich unablässig deswegen. Verbarrikadiert das Schloss, verlässt die Gegend … Als ich Sie hier sah, dachte ich, er lebt vielleicht wieder hier. Sehen Sie, Mademoiselle, meine Tochter zu verlieren ist schlimm genug, aber zuzusehen, wie ein weiteres Leben ruiniert wird, macht es für mich nur noch schlimmer. Ich weiß, Luc gibt sich die Schuld, dass Suzanne unglücklich war, wahrscheinlich hält er sich sogar verantwortlich für ihren Tod. Aber das alles war niemals seine Schuld.“
„So sieht er das aber nicht“, erwiderte Abby bedrückt. „Er fühlt sich schuldig.“
„Ich hatte gehofft …“ Mireille brach ab. „Aber er ist jetzt mit Ihnen zusammen, ja? Er hat wieder angefangen zu leben?“
„Wer weiß?“ Abby verabscheute es, dass ihre Stimme so brüchig klang. Tränen wollten ihr in die Augen schießen, und Mireille bemerkte es.
„Das ist nicht der richtige Ort für eine solche Unterhaltung. Kommen Sie, setzen wir uns in Pont-Saint-Esprit in ein Café und reden. Ich denke, es wird uns beiden guttun.“
Auch wenn die Frau eine Fremde war, Abby vertraute ihr spontan und stieg mit ihr in den Wagen.
Im Café, über einer großen Tasse latte , hörte Abby zu, während Mireille erzählte. Endlich also erfuhr sie die andere Seite der Geschichte, auch wenn sie schon befürchtet hatte, es gäbe keine.
„Suzanne bewunderte Luc von Kind an, er war der große Bruder, den sie nie hatte.“ Die Finger um die Tasse gelegt, seufzte Mireille schwer. „Sie können sich vorstellen, dass so eine Verbindung nicht die beste Basis für eine Ehe ist. Luc mochte sie gern“, fuhr sie fort. „Er war aufmerksam und fürsorglich, aber für Suzanne war das nicht genug.“
Abby dachte an Lucs Worte. Er hatte es ähnlich beschrieben.
„Suzanne war immer ein stilles Kind gewesen, fast schon melancholisch, und nach der Heirat wurde es wohl schlimmer.“ Mireille presste die Lippen zusammen. „Ich habe meine Tochter sehr geliebt, es zerriss mir das Herz, sie so unglücklich zu sehen. Aber wenigstens hat sie dann …“
„Dann?“, fragte Abby leise nach, als Mireille nicht weitersprach.
„Sie hatte beschlossen, sich von Luc scheiden zu lassen.“ Mireilles Augen schimmerten feucht. „Ich habe es ihm nie gesagt, sonst würde er sich auch noch die Schuld für das Scheitern ihrer Ehe geben. Die Wahrheit jedoch ist, die beiden hätten niemals heiraten dürfen. Und das war Suzanne klar geworden.“ Mireille umklammerte ihre Tasse fester. „An dem Tag, als sie starb, war sie auf dem Weg zu mir. Sie hatte mich vorher angerufen und mir gesagt, dass sie endlich den nächsten Schritt in ihrem Leben tun wollte. Sie wollte sich in Paris zur Lehrerin ausbilden lassen. Das war eigentlich immer ihr Traum gewesen.“
„Sie war auf dem Weg zu Ihnen?“ Abby fragte nach, um auf gar keinen Fall irgendetwas misszuverstehen. „Das heißt, sie hatte Pläne und war glücklich?“
„Ja, wahrscheinlich zum ersten Mal seit Jahren. Für mich ist es ein Trost, das zu wissen.“
Abby schluckte, ihr Puls schlug härter. „Luc fragt sich, ob Suzanne vielleicht … ob sie möglicherweise absichtlich …“
Mireille verstand zuerst nicht, was Abby nicht über sich brachte auszusprechen. „Sie meinen, ob sie den Wagen absichtlich von der Straße gelenkt hat?“ Entschieden schüttelte Madame Roget den Kopf. „Nein, ganz bestimmt nicht. Endlich hatte sie das Gefühl, ihr Leben wieder im Griff zu haben. Sie hätte sich niemals absichtlich in den Fluss gestürzt.“ Mireille runzelte die Stirn. „Kein Wunder, dass Luc sich so quält. Die Polizei geht davon aus, dass ein Tier plötzlich auf die Straße gesprungen sein muss und Suzanne beim Bremsen die Kontrolle über den Wagen verloren hat. Sie hat immer für Tiere gebremst.“
Abby drückte die Hand der eleganten Mittfünfzigerin. „Mireille, ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie mir das alles erzählt haben. Ich hoffe, nein ich flehe darum, dass es etwas verändert.“
„Für Luc?“ Mireille deutete auf Abbys Bauch. „Ist es von ihm?“
„Ja“, gab Abby mit hochroten Wangen zu.
„Und Sie lieben ihn?“
„Ja“, antwortete Abby flüsternd.
„Dann gelten Ihnen alle meine guten Wünsche. Luc muss mit seinem Leben weitermachen, er braucht jemanden, der ihn liebt
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