Julia Extra Band 0326
gelegen hatte. Jetzt, bei Tageslicht, wirkte der Raum noch größer. Unwillkürlich blickte sie zur Anrichte. Das Foto stand immer noch dort.
Dies ist mein Zuhause, hier gehöre ich her, schien die schöne junge Frau ihr wiederum zu sagen.
Maria setzte sich neben Emily, und wortlos tranken sie in kleinen Schlucken den heißen Kaffee. Emily war die Situation unbehaglich, auch Marias Gesichtsausdruck ließ sich nicht deuten.
„Sie glauben gar nicht, wie froh ich war, als Giovanni wie aus heiterem Himmel plötzlich an der Unfallstelle auftauchte“, versuchte sie das Eis zu brechen und ein Gespräch in Gang zu bringen. „Die Frau lag so unglücklich, dass ich sie nicht in die stabile Seitenlage drehen konnte.“
„Haben Sie eine Ausbildung als Sanitäterin?“, erkundigte sich Maria.
„Nein, aber der plötzliche Tod meiner Mutter hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, in Notsituationen schnell und richtig zu reagieren. Deshalb habe ich anschließend mehrere Kurse in Erster Hilfe mitgemacht. Trotzdem fühlte ich mich mit der Situation überfordert. Die Erinnerung daran wird mich bestimmt noch lange verfolgen.“ Sie fröstelte.
„Giovannis Schilderung nach haben Sie äußerst kompetent reagiert“, widersprach Maria. „Vor allem haben Sie die Frau beruhigt und ihr Mut gemacht.“
„Trotzdem erschien es mir wie ein Wunder, als Giovanni plötzlich neben mir kniete, Rom ist immerhin eine Millionenstadt.“
„Es war wirklich der pure Zufall. Giovanni ist nämlich gerade bei mir auf dem Land zu Besuch, doch ausgerechnet heute kam es mir in den Kopf, mit ihm in die Stadt zu fahren, um einige Einkäufe zu erledigen.“
In diesem Moment kam Giovanni ins Zimmer und setzte sich mit seinem Kaffee in den Sessel gegenüber.
„Sie sind in der Tourismusbranche beschäftigt, hat mir mein Sohn erzählt“, redete Maria weiter. „Gefällt Ihnen der Beruf?“
Emily zögerte. „Was soll ich dazu sagen? Jede Tätigkeit hat ihre Vorzüge und Nachteile, und so oft von zu Hause fort zu sein, ist für mich nicht einfach.“
„Was würden Sie denn lieber tun?“
In Emily regte sich leiser Widerstand. War das ein Interview?
„Den ganzen Tag malen, Mama“, antwortete Giovanni für sie. „Das nötige Talent dazu hat sie. Emily ist meiner Meinung nach eine begnadete Künstlerin.“
Emily merkte genau, wie durchdringend Maria sie bei diesem Lob musterte. Typisch für eine italienische Mutter, dachte sie, höchst misstrauisch in allen Angelegenheiten, die ihren kostbaren Sohn betreffen. Keine Frau konnte je gut genug für ihn sein, und Maria schien ihr ganz selbstverständlich ernsthafte Absichten auf Giovanni zu unterstellen. Als ob sie die hätte! Entschieden setzte sie den leeren Becher zurück auf den Tisch.
„Im Moment sehnt sie sich aber bestimmt eher nach einem Badezimmer als nach einer Staffelei“, redete Giovanni weiter. „Komm, Emily, ich zeige dir mein Schlafzimmer. Es hat ein eigenes Bad, das ganz zu deiner Verfügung steht.“
Er ging voran und öffnete ihr die Tür.
Der Raum war hell und erstaunlich groß – ebenso wie das weiß bezogene und ordentlich gemachte Bett. Einen Moment lang musste Emily gegen den fast übermäßigen Wunsch ankämpfen, sich dort lang auszustrecken, die Augen zu schließen und an etwas Schönes zu denken.
Stattdessen durchquerte sie das Zimmer und öffnete die Tür, die ins Badezimmer führen musste. Überwältigt hielt sie den Atem an. Welch ein Luxus! Eine riesige Eckbadewanne, eine verglaste Duschkabine mit mehreren Brauseköpfen, goldene Armaturen und flauschige weiße Frotteetücher im Überfluss!
Wieder stellte Emily fest, wie kostspielig und stilsicher Giovanni eingerichtet war. Plötzlich jedoch stockte ihr der Atem. An einem Haken hing ein Hauch von einem Negligé aus feinster aprikosenfarbener Spitze! Neugierig trat sie näher und ließ das feine Gewebe durch die Finger gleiten. Dem Schnitt nach musste es einer jungen Frau gehören – der, dessen Bild im Wohnzimmer stand? War Giovanni ihretwegen so kurzfristig nach Rom zurückgekehrt?
Als Emily sich die Hände wusch, entdeckte sie auf der Ablage ein teures französisches Parfüm, das Giovanni bestimmt nicht selbst benutzte. Mit weichen Knien setzte sie sich eine Weile auf den Rand der Badewanne. Was war los mit ihr? Was gingen sie diese Dinge an?
Nach einigem Überlegen kam ihr die Idee, dass sie vielleicht Zusammenhänge sah, wo keine bestanden. Maria war oft bei ihrem Sohn zu Besuch. Vielleicht gehörten
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