Julia Extra Band 0326
den riesigen Raum und ging zum Fenster. Der Ausblick war atemberaubend. Terrassierte Weinberge und Olivenplantagen, so weit das Auge reichte.
Fast direkt unter ihrem Fenster, auf einer riesigen Terrasse und im Windschutz einer blühenden Hecke, befand sich der Swimmingpool. Liegen, Tische, Stühle und Sonnenschirme waren zwar aufgebaut, machten jedoch einen etwas verlassenen Eindruck. Es war bereits Oktober, der Herbst hielt Einzug, und der Abendwind war empfindlich kühl. Nachdenklich begann Emily, ihre Reisetasche auszupacken.
Dank seiner hervorragenden Überredungskünste war es Giovanni gelungen, sie zum Mitkommen zu bewegen. In welchem Rahmen die Überraschungsparty stattfand, hatte er dabei allerdings doch nicht erwähnt. Schon von seiner Wohnung in Rom war sie beeindruckt gewesen, doch diese Villa hier gehörte in eine ganz andere Kategorie.
Was mochte Giovanni nur von ihrem bescheidenen Heim halten, das sie sich noch dazu mit einer Freundin teilte? Emily wagte nicht, daran zu denken. Wer waren die Bosellis? Besaßen sie vielleicht sogar einen aristokratischen Hintergrund?
Kritisch musterte sie ihre Garderobe, die sich in dem riesigen Schrank verlor, und hoffte, damit in dieser luxuriösen Umgebung bestehen zu können. Der heutige Abend stellte kein Problem dar, weil Giovanni und sie noch allein waren. Mit ihrer Leinenhose und der cremefarbenen Seidenbluse würde sie dem Anlass entsprechend gekleidet sein.
Sie war froh, in allerletzter Minute noch ihr Lieblingsstück eingepackt zu haben. Es handelte sich um eine Mischung zwischen Cape und Stola, zeitlos und elegant, aus feinstem Kaschmir, und ließ sich zu allem tragen. Sollte es später am Abend noch kühler werden, würde sie es gut gebrauchen können. Sie hatte es vor einigen Jahren von ihrem Vater zum Geburtstag bekommen, und es musste sündhaft teuer gewesen sein, denn diskret in einer Ecke befand sich eine Stickerei mit dem Logo eines weltbekannten Designers.
Emily betrachtete ihr Kleid für das morgige Fest und lächelte zufrieden. Ja, auch damit würde sie sich nicht blamieren. Es war aus jadegrüner Wildseide und das einzige Modellkleid, das sie besaß. Es passte wie angegossen, und der betont einfache Schnitt brachte ihre graziöse Figur hervorragend zur Geltung. Dass sie es gebraucht auf einem Wohltätigkeitsbasar erstanden hatte, wusste nur Coral.
Kaum hatte sie die Bluse zugeknöpft, klopfte auch schon Giovanni an der Tür. „Hast du alles, was du brauchst?“, erkundigte er sich und betrachtete sie bewundernd. Wie hübsch Emily war und wie stilsicher sie sich stets kleidete!
Sie nickte, und gemeinsam gingen sie nach unten. „Wir essen auf der Terrasse“, kündigte er an. „Draußen ist es einfach schöner.“
„Kommt Maria auch?“
„Nein, sie ist bei Freunden eingeladen.“ Er schob ihr den Stuhl zurecht und begrüßte dann eine rundliche ältere Frau, die den Wein in einem mit Eiswürfeln gefüllten Kühler auf den Tisch stellte.
„Das ist Margherita“, stellte er sie Emily vor. „Solange ich mich erinnern kann, verwöhnt sie uns schon mit den köstlichsten Leckerbissen.“
Margherita musterte Emily mit unverhohlenem Interesse und verschwand dann wieder, um kurz darauf das Essen zu servieren.
Giovanni hatte Margherita mit Recht gelobt, denn so vorzüglich hatte Emily schon lange nicht mehr gegessen. Sie aß mit Appetit, redete jedoch wenig.
„Stimmt etwas nicht?“, erkundigte er sich, als er ihr den Zucker für ihren Espresso reichte. „Du bist so still.“
Sie blickte ihm offen ins Gesicht. „Mir geht es ausgezeichnet, Giovanni, ich bin lediglich irritiert. Ich hatte keine Idee, in welchem Rahmen das Fest stattfindet. Warum hast du mich nicht darauf vorbereitet?“
„Ich verstehe deinen Unmut und möchte mich entschuldigen.“ Er seufzte. „Aber ich weiß nie so richtig, wie ich mich vorstellen soll … Ist dir der Name Antonio ein Begriff?“
„Natürlich, wenn du damit auf die weltberühmte Designerfirma anspielst. Jede Frau kennt die exklusiven und unerschwinglich teuren Modelle mit diesem Label.“
„Das sind wir, Emily, das ist unsere Familie, unser Ruhm und unser Fluch.“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Alles begann mit meinem Urgroßvater Antonio, einem talentierten Künstler und tüchtigen Geschäftsmann, der klug genug war, sich in eine ebenso talentierte Modistin zu verlieben. Was die beiden als kleine, aber feine Schneiderei begannen, hat sich im Laufe der Jahrzehnte zu dem entwickelt,
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