Julia Extra Band 0326
einer Gasse die charakteristische Turmspitze. Während sie auf eine Lücke im strömenden Feierabendverkehr der kreuzenden Hauptstraße wartete, lief ihr der Schweiß in dünnen Bächen am Körper runter.
Es war ein heißer Tag gewesen, und da nicht der leiseste Windhauch wehte, hatte es sich bisher auch noch nicht abgekühlt. Die Leute um sie herum schien das nicht zu stören. Unbeirrt bahnten sie sich ihren Weg zwischen hupenden Autos, aufheulenden Motorrädern und laut fluchenden oder wild gestikulierenden Fahrern hindurch.
Entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen, machte auch Maggie einen mutigen Schritt nach vorn.
Die Sicherheitsleute vor dem Hotel waren extrem angespannt, die Presse hatte man weggeschickt, und nur wenigen ausgesuchten Fotografen war der Zugang gestattet worden. Unglücklicherweise überschnitt sich ihr Eintreffen mit Rafaels Rückzug.
„Seit wann bist du kamerascheu? Wie ich hörte, sollst du sehr fotogen sein. Mit deinem Gesicht und deinem Ruf füllst du, glaube ich, mehr als die Hälfte aller Klatschgazetten.“
Rafael würdigte das meckernde Lachen seines ältlichen Großonkels mit einem schmalen Lächeln. „Wahrscheinlich ist es tatsächlich zu viel verlangt, wenigstens von meiner Familie eine Art Vertrauensbonus zu erwarten“, murmelte er ironisch.
Er liebte Frauen, er mochte Sex, doch wenn er tatsächlich so viele heißblütige Geliebte verschlissen hätte, wie ihm die Presse unterstellte, würde er gar nicht mehr aus dem Bett herauskommen.
„Du warst doch noch nie naiv, Rafael“, konterte Fernando. „Nicht einmal, als du ein Baby warst wie die beiden Täuflinge. Ich erinnere mich noch an deine Taufe, als sei sie erst gestern gewesen. Du hast die ganze Zeit über wie am Spieß gebrüllt, und dein Vater sagte nur: Elena, unternimm etwas , und das hat sie auch getan. Obwohl ich kaum glaube, dass Felipe damals eine Affäre im Sinn hatte …“ Er warf Rafael einen Seitenblick zu, der eher sensationslüstern als entschuldigend war. „Nichts für ungut“, fügte er angesichts der irritierend unbewegten Miene seines Neffen hinzu.
„Kein Problem“, murmelte Rafael, während seine Wangenmuskulatur vor Anstrengung schmerzte.
„Ihr einziger Fehler war, es ihm zu gestehen“, plauderte sein Großonkel vertraulich weiter. „Aufrichtigkeit ist nicht immer die beste Empfehlung, besonders, wenn man es mit Menschen wie deinem Vater zu tun hatte. Wie alt warst du eigentlich, als er …“
„Als er meine Mutter aus dem Haus warf? Zehn.“
Auf jeden Fall alt genug, um sich betrogen zu fühlen. Eine vage Erinnerung streifte Rafael, doch er empfand absolut nichts, während er sich selber als Zehnjährigen sah, wie er sich an seine Mutter klammerte und sie anflehte, ihn mitzunehmen. Und wie er sie voller Wut angebrüllt hatte, als sie ihm tränenüberströmt erklärte, dass dies unmöglich sei.
„Was für eine Tragödie, dass sie so jung sterben musste“, seufzte Fernando.
Besonders, bevor ich die Chance hatte zurückzunehmen, was ich ihr damals nachgerufen habe, dachte Rafael dumpf.
Geradezu sträflich unsensibel, was den rechten Moment für gewisse Themen betraf, musterte Fernando mit gerunzelter Stirn das versteinerte Profil seines Großneffen. „Was machst du denn für ein Gesicht? Es gibt doch wahrlich Schlimmeres, als von den Medien als ultimatives Sexsymbol bezeichnet zu werden.“
„Eine Klassifizierung, der man nur schwer gerecht werden kann“, erwiderte Rafael nach einer kaum merklichen Pause.
Das entlockte seinem Großonkel erneut ein meckerndes Lachen. „Bescheidenheit? Das passt so gar nicht zu dir, Rafael.“
„Du denkst also, ich verdiente eine Lektion in Sachen Demut?“ Milde und Nachgiebigkeit waren in seinem Verständnis absolut überschätzte Eigenschaften. Ihm war nie im Leben in den Sinn gekommen, auch die andere Wange hinzuhalten. Und in Zukunft würde sich daran kaum etwas ändern. In Rafaels Welt erwies sich jedes Anzeichen von Schwäche erfahrungsgemäß als äußerst fatal.
„Willst du wirklich wissen, was ich denke …?“ Fernando brach ab und blieb abrupt stehen. Irgendetwas auf der anderen Straßenseite fesselte seine Aufmerksamkeit. „Na, das nenn ich mal eine attraktive Frau! Sie erinnert mich an irgendjemand … Rafael …?“
Es war nicht schwer, das Objekt der Neugierde seines Großonkels auszumachen.
Etwas mehr als mittelgroß, stand sie an der belebten Kreuzung und suchte offensichtlich eine Lücke in dem dichten Verkehr,
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