Julia Extra Band 0326
der sich durch die überfüllten Straßen quälte. Sie besaß eine natürliche Schönheit und Eleganz, die sie aus der Masse der wartenden Passanten heraushob, selbst in den verwaschenen Jeans und dem weiten weißen Leinenhemd, das ihre bemerkenswerten weiblichen Kurven nicht betonte, aber auch nicht zu verstecken vermochte.
Rafael wich zurück, als ein Rollerfahrer auf den Bürgersteig wechselte und ihn dabei fast umgefahren hätte. Als die schöne Fremde die Hand hob, um ihren Pferdeschwanz über die Schulter nach hinten zu werfen, sah er zum ersten Mal ihr Gesicht. Sein Atem stockte, und Rafael hatte das Gefühl, einen Fausthieb in den Magen bekommen zu haben.
„Da drüben … siehst du sie denn nicht?“
„Ich … doch … ich sehe sie.“ Er kannte seine Stimme selbst nicht wieder.
„Genau das ist es, was der Party gefehlt hat – ein hübsches Gesicht!“
„Nicht hübsch …“, widersprach Rafael automatisch.
Sein Großonkel plusterte sich empört auf. „Nicht hübsch? Was ist los mit dir? Jetzt sag nicht, du magst es, wenn sie wie Bohnenstangen aussehen. Eine Frau sollte weich und anschmiegsam …“
„Sie ist schön“, korrigierte Rafael und suchte Fernandos Blick, während er fieberhaft überlegte, wie er verhindern konnte, dass dem alten Schwerenöter vielleicht doch noch einfiel, an wen ihn die Fremde erinnerte. Ihn überraschte nur, dass sein Großonkel nicht längst darauf gekommen war.
Je eher er ihn von hier wegschaffte, umso besser.
Nur mit Mühe konnte Rafael seinen Blick von der umwerfenden Schönheit losreißen. Und offensichtlich ging es ihm nicht allein so. Sie war eine Frau, die Blicke automatisch anzog.
Fürsorglich bot er seinem Großonkel den Arm, als endlich die georderte Limousine vorfuhr, nickte dem Chauffeur zu, der die Tür aufhielt, und half Fernando beim Einsteigen. Umständlich nahm der auf dem Rücksitz Platz. Der Wagen fuhr ab, und endlich konnte sich Rafael voll und ganz auf die hübsche Dunkelhaarige konzentrieren.
Offensichtlich war das Hotel ihr Zielort. Wenn sie es jetzt tatsächlich betreten würde, konnte er sich die Reaktion der Familie lebhaft vorstellen. Dazu waren auch noch Fotografen anwesend, die sich das unvermeidbare Spektakel ganz sicher nicht entgehen lassen würden, um die Welt am nächsten Tag mit einem brandheißen Skandal zu versorgen: Die Wiedervereinigung eines unehelichen Kindes mit seiner leiblichen Mutter, unter den Augen ihres ahnungslosen Gatten, der Familie und der lokalen Prominenz!
Grundgütiger! Das Mädchen musste sich diesen Moment vollkommener Rache und Bloßstellung sorgfältig überlegt haben. Aber es waren nicht ihre G efühle, auf die er sich jetzt konzentrieren musste, sondern auf eine maximale Schadensbegrenzung.
Wenigstens sollte Angelina diesen speziellen Tag noch ungetrübt genießen können, ehe sie das Schicksal in Form ihrer verstoßenen Tochter heimsuchte …
Aber wie sollte er denn die Frau daran hindern, das Hotel zu betreten?
Rafael wünschte sich in ein früheres, unzivilisiertes Zeitalter zurück, in dem er sich den hübschen Störenfried einfach über die Schulter hätte werfen und irgendwohin verschwinden lassen können. Doch da das keine Option war, musste ihm etwas Praktikableres einfallen. Während er seine Möglichkeiten überdachte, wurde ihm bewusst, wie sehr die bizarre Situation einer modernen griechischen Tragödie glich. Alle maßgeblichen Elemente waren vorhanden: Sex, Geld und eine schöne Frau … oder, wie in diesem Fall, zwei. Und ein positives Ende war nicht vorgesehen.
Das durfte er auf keinen Fall zulassen! Rafael versuchte, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
Während er sich noch den Kopf über die Motive von Angelinas Tochter zerbrach, schloss er Vokabeln wie Zufall oder lautere Absichten von vornherein aus. Er glaubte schon lange nicht mehr an den Weihnachtsmann, und die wenigen Menschen zu schützen, die ihm nahestanden, war stets Punkt eins auf seiner Prioritätenliste gewesen.
Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Und als er sah, wie sie eine Lücke im Verkehrsfluss nutzte und quer über die Straße genau auf den Hoteleingang zusteuerte, bewahrheiteten sich seine schlimmsten Befürchtungen.
Er spürte ein seltsames Ziehen in der Magengegend – eindeutig Ärger, wie er sich selbst versicherte – während er ihren weichen Gang und den sanften Schwung ihrer Hüften in den engen Jeans verfolgte. Natürlich gab es dezente, zurückhaltende Frauen, wie zum
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