Julia Extra Band 0327
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Sie war nicht wunderschön. Und noch niemals hatte sie irgendjemand so bezeichnet. Nur Menschen, die es verdienten, dass man sie wunderschön nannte, durften sich über ein solches Kompliment freuen.
Lucy wich erschrocken zurück und strich ihr Kleid glatt. Ihre Stimme klang hoch und heiser. „Das ist völlig unangemessen! Ich bin deine Assistentin !“
Aristoteles schüttelte langsam den Kopf. „… und du bist die Frau, die ich nicht mehr aus meinen Gedanken streichen kann und nach der sich mein Körper mehr sehnt, als nach irgendetwas anderem.“ Seine Miene verdunkelte sich. „Ich denke, es ist etwas zu spät, jetzt die unberührte Jungfrau zu spielen“, fügte er etwas spöttisch hinzu.
Lucy schluckte. Was war nur geschehen? Sie fühlte sich in der Tat alles andere als jungfräulich. Aristoteles hatte es innerhalb von Sekunden geschafft, sie von ihrer eigenen Diagnose zu heilen: dass sie nämlich zu keinerlei sexuellen Gefühlen fähig war.
„Nein, aber ich möchte darauf hinweisen, dass ich deine Assistentin bin. Und dass das … nicht geht!“ Nun schoss Lucy die Schamesröte ins Gesicht. Sie senkte den Kopf und fügte leiser hinzu: „Wenn ich dir das Gefühl gegeben haben sollte, dass ich von dir berührt werden möchte, dann war das ein Irrtum. Du bist wahrscheinlich nur … gelangweilt oder so. Du kannst doch unmöglich …“ Sie brach ab.
„Was kann ich nicht?“, fragte Aristoteles wütend. Er hatte sein Hände in die Hüften gestützt und sah sie verärgert an. „Ich habe dir zugesehen, wie du dich neulich morgens im Büro umgezogen hast. Und ich kam mir vor wie ein Schuljunge, aber seitdem kann ich an nichts anderes mehr denken. Das ist mir noch mit keiner anderen Frau je zuvor passiert. Und Lucy, du willst es doch auch! Ich habe genau gemerkt, wie sehr …
In diesem Moment klingelte es. Lucy schrak zusammen. „Das wird dein Taxi sein. Geh jetzt.“ Sie wandte sich ab. „Bitte“, fügte sie flehend hinzu.
Aristoteles nahm seinen Mantel und ging zur Tür. Dort blieb er stehen und drehte sich noch einmal zu ihr um.
Es klingelte erneut.
„Bis Montag, Lucy. Das hier ist noch nicht vorbei.“
Dann zog er die Tür hinter sich ins Schloss. Lucy stand wie angewurzelt da und hatte Mühe, Luft zu bekommen.
Als sie sicher war, dass Aristoteles nicht noch einmal zurückkommen würde, zog sie sich aus und sprang unter die heiße Dusche. Welche Wohltat! Wenn das warme Wasser doch nur ihre Erinnerungen an das, was geschehen war, mit sich fortspülen könnte. Lucy schlüpfte in ihren ältesten und bequemsten Schlafanzug, machte sich einen heißen Kakao und ging ins Wohnzimmer. Dort kuschelte sie sich aufs Sofa.
Doch dann stand sie noch einmal auf und nahm das Foto zur Hand, das sie und ihre Mutter in Paris zeigte. Plötzlich wurde Lucy von ihren Gefühlen überwältigt, und sie begann hemmungslos zu schluchzen.
Bei Maxine war vor zwei Jahren Alzheimer festgestellt worden. Angekündigt hatte sich die Krankheit dadurch, dass sie immer vergesslicher und reizbarer geworden war. Lucy fand diese Veränderungen sehr bedenklich und schickte ihre Mutter zum Arzt. Nach einigen Tests bestand dann Gewissheit. Von diesem Tag an hatte sich der Gesundheitszustand ihrer Mutter schlagartig verschlechtert.
Zunächst hatte Lucy noch versucht, sie zu Hause zu pflegen. Doch nachdem sie einmal von der Arbeit nach Hause gekommen war und ihre Mutter apathisch in der überschwemmten Küche sitzend vorgefunden hatte, mit allen Herdplatten auf höchster Stufe an, da hatte Lucy gewusst, dass es so nicht weitergehen konnte.
Zunächst war eine Pflegerin tagsüber zu ihnen gekommen, doch die Ausgaben dafür waren so hoch gewesen, dass noch vor Ende des Monats Lucys Einkommen aufgebraucht gewesen war. Ihre Mutter hatte sich nie viele Gedanken über Geld gemacht. Sie hatte das ausgegeben, was sie bekommen hatte, und nicht weiter fürs Alter oder für Eventualitäten vorgesorgt. In ihrem Leben hatte es ja auch immer genug Männer gegeben, die für ihren Lebensunterhalt gesorgt hatten. Doch das war jetzt leider vorbei.
Lucy betrachtete ihre Mutter auf dem Foto. Im 19. Jahrhundert wäre sie sicher so etwas wie eine Edel-Kurtisane gewesen. Tatsächlich hatte Lucys Mutter Zeit ihres Lebens als Burlesque-Tänzerin gearbeitet. Und sie hatte vielen Männern den Kopf verdreht. Mehr noch, sie hatte sich wieder und wieder von ihnen aushalten lassen. Hatte sich nicht daran gestört, dass ihre wohlhabenden und einflussreichen
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