Julia Extra Band 0330
wollte Nikos wissen.
„Ich arbeite in einem Schuhgeschäft.“ Dies entsprach der Wahrheit, jedenfalls bis zu dem Tag, an dem sie hierher in die Einöde gefahren war. Der Laden würde sie mit Sicherheit nicht mehr zurücknehmen, was für Julie bedeutete, sie musste noch einen unangenehmen Termin beim Arbeitsamt über sich ergehen lassen. Sie wollte unbedingt wieder etwas finden, egal, wie schlecht der Job bezahlt wurde.
Für wenige Sekunden empfand sie echte Angst, ein mittlerweile vertrautes Gefühl, das ihr den Atem abschnürte. Wie sollte es nur weitergehen? Es ging ums Überleben, Tag für Tag, Woche für Woche. Julie musste ständig das Geld zusammenkratzen, das sie brauchte, und so würde es endlos weitergehen …
Nikos glaubte zu verstehen. Viele Frauen wie sie arbeiteten in einer Boutique, um sich die Zeit zu vertreiben. Meistens handelte es sich um ein Geschäft einer Freundin, das eher zum Zeitvertreib und aus Lust an der Mode betrieben wurde.
„Das ist bestimmt hilfreich, wenn man sich ständig auf der Jagd nach den neusten Designtrends befindet, oder?“
Wieder bemerkte er, wie sich Julies Gesicht verschloss. Sprach sie etwa nicht gern über sich und ihr Leben? Gut, kein Problem, dann musste sie ja nicht unbedingt persönlich werden!
„Ich freue mich ehrlich darüber, dass du dir den Küchengarten vorgenommen hast. Das Grundstück wird in der Wiederherstellung eine ebenso große Herausforderung darstellen wie das Haus. Glücklicherweise habe ich herausgefunden, wo man die alten Pläne aus dieser Gegend verwahrt. Es gibt genaue Aufzeichnungen von Belledon , die bis ins achtzehnte Jahrhundert zurückgehen.“
Es kribbelte, als Julie noch einen Schluck Wein trank, aber ihr gefiel das Gefühl. „ Belledon ?“
„Das Haus, in dem du gerade wohnst. Auch wenn du es jetzt noch nicht als Hotel betrachten kannst, ist es doch für diesen Zweck höchst geeignet. Es liegt nur fünf Meilen von der Autobahn nach Heathrow entfernt und wird nach der Renovierung wie ein Schmuckstück die Landschaft zieren. Auch wenn die Umbaumaßnahmen sehr teuer werden, man könnte das Anwesen als eines der führenden britischen Landhotels etablieren.“
Er verlor sich in dem Thema, und Julie ließ ihn reden, während sie das köstliche Essen genoss. Warum nicht das Beste aus diesem Abend machen? Und nach einer Weile ließ sie sich sogar von Nikos’ Ausführungen fesseln. Der Wein tat sein Übriges, löste ihre Zunge, und Julie stellte interessiert Fragen, machte Vorschläge oder wies auf eventuelle Probleme hin.
Das hätte sie noch vor wenigen Stunden nicht für möglich gehalten. Nikos und sie saßen beim Essen, unterhielten sich, schmiedeten Pläne, lachten und entspannten sich zunehmend. Als gäbe es nichts, was die Atmosphäre zwischen ihnen beiden vergiftete.
Das ist nicht echt, ging es Julie durch den Kopf. Eine Illusion.
Am liebsten hätte sie den Arm ausgestreckt und Nikos’ schönes Gesicht berührt, nur um sicherzugehen, dass er ihr auch wirklich in genau diesem Augenblick an diesem Tisch gegenübersaß. Sie beobachtete die kleinen Fältchen in seinem Gesicht, die man erst sah, wenn er lachte – und die winzigen goldenen Fleckchen in seinen Augen, die wie Sterne leuchteten. Sein ganzes Gesicht strahlte, wenn er sich über das ereiferte, was er gerade erzählte.
Und er wollte einen Strich unter ihre Vergangenheit ziehen. Für Julies Ohren klang das zwar alles andere als umsetzbar, aber entgegen jeglicher Voraussicht verlief der Abend höchst angenehm. Und in Julie wuchs die Erkenntnis, wie viel sie verloren hatte, als sie Nikos verlor!
Draußen war der Abend in eine laue Nacht übergegangen, und die Kerzen auf dem Tisch spiegelten sich in den dunklen Fensterscheiben und auf hochglanzpolierten Weingläsern.
Immer wieder spielte Julies Fantasie verrückt und gaukelte ihr im Geiste vor, wie sie in einem anderen Leben als Paar mit Nikos zusammen sein könnte. Als Mann und Frau, gemeinsam in dem wunderbaren, verlassenen Haus, mit Kindern, als glückliche Familie … Sie schaffte es nicht, dieses Bild loszulassen.
Noch intensiver wurde dieses Gefühl von Unwirklichkeit, als sie zwei Stunden später das Restaurant verließen und in die Sommernacht hinaustraten. Nikos war dicht an Julies Seite. Konnte das sein? War dieser Moment wirklich echt?
Ja, er war echt. Nikos war hier, bei ihr! Nikos!
Krampfhaft versuchte sie, die Stimme in ihrem Kopf endlich zum Schweigen zu bringen. Es gab doch keinen Grund, sich etwas
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