Julia Extra Band 0331
schneidender Stimme zu. „Doch der Medienrummel, der folgte, war noch viel schlimmer. Eine Skandalgeschichte nach der anderen förderten die Zeitungen zutage. Sie stellten Vermutungen an, brachten geschmacklose Fotos. Als wenn das, was geschehen war, nicht tragisch genug gewesen wäre.“
Wortlos sah Gabrielle ihn an. Sie befürchtete, er werde nicht weitersprechen, wenn sie ihn jetzt unterbrach. Und sie wollte mehr erfahren über ihren Mann, der sich ihr zum ersten Mal ein wenig öffnete.
Kurz hielt er inne, als müsse er sich sammeln. „Um die Wahrheit zu sagen, war ein Teil von mir sogar … wie erlöst“, gab er schließlich zu. „Das ist etwas, worüber ich noch nie gesprochen habe. Weißt du, meine Eltern haben sich immer nur miteinander beschäftigt. Um mich hat sich niemand gekümmert.“ Er sah sie an, als wolle er sich vergewissern, dass sie ihn verstand. „Mein Vater liebte meine Mutter so sehr, dass er sich selbst vollkommen aufgegeben hatte. Mit ihren Wutausbrüchen und ihren Affären hat sie ihn ständig in Atem gehalten. Doch sie brauchte immer Publikum, viele Menschen um sich herum, die sie bewunderten. Ihr Mann genügte ihr nicht.“
Natürlich kannte auch Gabrielle die Geschichten, die sich um Lucs kapriziöse und temperamentvolle Mutter rankten. Vittoria Garnier war eine auffallende, unbekümmerte und wunderschöne Frau gewesen, die es genoss, im Mittelpunkt zu stehen und von der Presse hofiert zu werden. Doch nach ihrem Tod hatten die Magazine kein gutes Haar an ihr gelassen. Niemanden hatte es interessiert, was es für ihren Sohn bedeutete, peinliche Artikel über seine Mutter zu lesen. Die Ehe seiner Eltern war in den Klatschblättern öffentlich auseinandergenommen worden. Man hatte angezweifelt, dass Vittorias Ehemann tatsächlich Lucs Vater war, Fotos von den verschiedenen Liebhabern seiner Mutter gezeigt. Für Enthüllungsgeschichten über das Privatleben der Garniers war sehr viel Geld gezahlt worden.
Gabrielle empfand tiefes Mitleid mit dem kleinen Jungen, der im Medienrummel aufwachsen musste.
Aber niemals würde sie ihn ihr Mitgefühl spüren lassen. Das wäre ein großer Fehler, ahnte sie.
„Was war das für eine Geschichte mit dem Fotografen von gestern Abend?“, wollte sie wissen.
„Silvio Domenico“, erklärte Luc mit versteinerter Miene. „Und bevor du fragst – ja, er ist der Fotograf, dem ich auf der Beerdigung meiner Eltern einen Kinnhaken verpasst habe. Die Bilder gingen durch alle Medien. GARNIER-ERBE: PRÜGELEI AM GRAB DER ELTERN. Du erinnerst dich vielleicht an die Schlagzeile.“
„Was war passiert?“, wagte Gabrielle sich weiter vor. Sie war überrascht und erfreut, dass er so offen mit ihr sprach.
„Dieser Mann ist ein Haufen Dreck“, stieß Luc hervor, und sein Blick verdüsterte sich. „Er ist es nicht einmal wert, von der Schuhsohle gekratzt zu werden.“ Mit einem bemühten Lächeln sah er sie an. „Aber das ist egal, es ist lange her.“
Nicht lange genug, dachte Gabrielle, wenn es Luc so sehr aus der Bahn wirft, wegen meiner Flucht wieder in den Schlagzeilen aufzutauchen. War er vielleicht gar nicht wütend auf sie, sondern noch immer auf seine Mutter, die sich so rücksichtslos verhalten hatte?
„Es tut mir so leid“, sagte sie und suchte seinen Blick. Es wäre besser gewesen, nicht weiter nachzufragen, dachte sie. Denn was sich ihr hier offenbarte, war das reinste Minenfeld. „Mir war nicht klar, dass mein Verschwinden dir schaden würde.“
Als er sie ansah, spürte Gabrielle, dass etwas mit ihnen geschah. Der Wind wehte weiter rauschend in den Bäumen, der Verkehrslärm aus der Stadt drang bis hierher, das Zirpen der Grillen hatte nicht nachgelassen. Doch hier im Raum schien sich etwas ganz wesentlich verändert zu haben. Wie gebannt schaute sie in seine dunklen Augen, unfähig, den Blick abzuwenden.
„Ich nehme deine Entschuldigung an“, sagte er schließlich, nach einem endlos scheinenden Moment des Schweigens. Dann griff er nach seinem Mobiltelefon, das in diesem Augenblick läutete. Das Gespräch, das sie einander nähergebracht hatte, war beendet.
Als Luc sich entschuldigte und vom Tisch aufstand, sah Gabrielle ihm gedankenverloren nach. Er bewegte sich mit derselben Kraft und Zielstrebigkeit, wie er alles in seinem Leben tat. Nachdem er die Terrasse verlassen hatte, atmete sie tief durch. Das Gespräch hatte sie angestrengt. Zum ersten Mal hatte sie hinter seine Fassade geblickt und einen ganz normalen Mann gesehen, mit
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