Julia Extra Band 0331
Vielleicht sollte ich sie nach einem Job fragen, überlegte Sienna.
Dann wäre die sehr harte Arbeit von vier Jahren umsonst gewesen.
Nein. Sie durfte gar nicht daran denken.
Eins war sicher. Sie musste eine Entscheidung treffen. Und zwar schnell. In einer Woche würde Angelo im Manor auftauchen. Sie brauchte den Rat ihrer Eltern, nur machten die ausgerechnet jetzt eine Kreuzfahrt.
Das ließ den einzigen Menschen übrig, auf den sie bauen konnte. Ihre Tante Maria Rossi.
Als Sienna um die Ecke bog, fielen ihr sofort die beleuchteten Schilder von zwei Pizzerias auf. Hier hatte sich seit ihrem letzten Besuch vor sechs Monaten einiges verändert. Sie blieb stehen und blickte über die Straße zum Rossi’s, wie das Restaurant schon immer genannt worden war. Nach der Katastrophe mit Angelo Peruzi hatte ihre Tante ihr geholfen. Welche Ironie, dass derselbe Mann sie jetzt wieder Rat suchend hierhertrieb.
Noch mehr hatte sich über die Wintermonate verändert – und nicht zum Besseren.
Maria hatte hier ernsthafte Konkurrenz!
Eigentlich stand die Trattoria Rossi in erstklassiger Lage, ein bisschen zurückgesetzt von der Straße, sodass vor dem Haus Platz für drei Terrassentische war. Die jetzt im Februar nicht genutzt werden konnten.
Das harte Licht der Straßenlampen war wenig schmeichelhaft. Deutlich sah man, dass die Farbe von dem handbemalten Schild abblätterte, auf dem früher TRATTORIA ROSSI gestanden hatte. Ein vorbeifahrender Autofahrer könnte davon höchstens noch RATT … OS ausmachen.
Und das war nicht das Schlimmste. Sienna überquerte die Kreuzung und sah, dass auch die Fensterscheibe defekt war. Kleinere Sprünge in einer Ecke breiteten sich wie ein Spinnennetz aus.
Zuletzt war sie am helllichten Tag hier gewesen, und das Bistro hatte blitzsauber ausgesehen, strahlend und fröhlich. Ein einladendes, familienfreundliches Restaurant. Was Sienna nun anblickte, war ein ungepflegtes, trostloses Lokal, in dem sie niemals etwas essen würde.
Auf einem Pappschild stand, dass das Restaurant wegen Betriebsferien geschlossen war und nächste Woche wieder öffnete. Unklar blieb, welche Woche und wann es geschrieben worden war.
Ihre Eltern hätten ihr doch wohl erzählt, dass Maria in den Urlaub gefahren war? Oder nicht?
Einen Moment lang ließ Sienna zu, dass der Stress dieses Tages sie überwältigte.
Bitte sei zu Hause, Maria! Bitte!
Das kam davon, wenn man sich in Köche verliebte. Verdammter Brad Cameron. Oder Angelo. Oder beide.
Vielleicht hatte Maria ihren Ausgeh-Abend? Die flotten Fünfzigplusmitglieder des Tanzklubs waren ihre besten Gäste.
Sienna spähte durch die Scheibe und sah erleichtert, dass hinten in der Küche Licht brannte. Und trotz des Verkehrslärms konnte sie Popmusik hören. Da arbeitete jemand.
Mindestens einen Praktikanten und eine Kellnerin hatte Maria immer, und einer von den beiden wohnte bei ihr in dem gemütlichen Haus, das mit dem Restaurant verbunden war.
Nach erfolglosem Klopfen an der Fensterscheibe, klingelte Sienna an Marias Haustür. Doch niemand öffnete. Daher beschloss sie, es mit Plan B zu versuchen. Den Hintereingang.
Aus dem Nieseln wurde ein dichter Schneeregen, der von den Bäumen und Dächern auf den Bürgersteig tropfte. Mit hochgeklapptem Kragen lief Siena um das Bistro herum. Das alte Holztor klemmte, und sie musste ihre Reisetasche auf dem nassen Boden abstellen, um sich mit der Schulter dagegen zu stemmen.
Plötzlich gab es nach, sodass sie in den Hof stolperte und fast hingefallen wäre. Erleichtert stellte sie fest, dass in Marias Küche noch immer Licht brannte und Musik dröhnte.
So gut sie konnte, umging Sienna Mülleimer, durchweichte Pappkartons, ausrangierte Plastiktabletts und andere geheimnisvolle dunkle Gegenstände, die im Weg lagen. Hoffentlich gibt es hier keine Ratten, dachte Sienna.
Ein senkrechter schmaler Lichtstrahl schien aus der Hintertür. Sie war offen!
Durch das Fenster war niemand zu sehen. Sienna stellte die Reisetasche ab und ging noch einen Schritt näher an die schwere Metalltür heran.
Genau in diesem Moment schwang sie plötzlich ganz auf. Und im Bruchteil einer Sekunde nahm Sienna Maria Rossi drei erschreckende Tatsachen in sich auf.
Eine große dunkle Gestalt, deren Gesicht im Schatten lag, beugte sich nach draußen.
Eine Hand hielt den Griff eines rosa Plastikeimers, in dem irgendetwas schwappte.
Eine schwungvolle Armbewegung, und schon sauste der Eimer in hohem Bogen nach vorn, um in den Hof entleert zu
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