Julia Extra Band 0331
Brust.
Aus der Nähe sah Sienna die schmale Narbe, die durch seine linke Braue verlief. Und dass zumindest ein Mal seine Nase gebrochen gewesen war. Ihr fiel auf, dass das Blau seiner Augen ein Mosaik aus Schattierungen von Hellblau über Kobaltblau bis Dunkelblau war. In seinem Blick erkannte sie Leidenschaftlichkeit und Stärke, aber dennoch eine Verletzlichkeit, die ihr viel mehr über den echten Brad Cameron verriet, als ihm wahrscheinlich lieb war.
Wenn man mit dem Feuer spielte, konnte man sich die Finger verbrennen. Und dieser Blick war brandgefährlich. Sienna ließ die Hände sinken.
Einerseits vermisste sie gleich den engen Kontakt mit einem Mann wie Brad, andererseits ermahnte sie sich kopfschüttelnd, dass sie das mit einem Küchenchef schon hinter sich hatte.
Kochmagnet. Sie hasste es, wenn Carla recht hatte.
Wie oft hatte sie als Sechzehnjährige davon geträumt, von Brad Cameron im Arm gehalten zu werden? Und hier nutzte sie die erste Gelegenheit, sich an ihn zu schmiegen. Sie war also wieder genau da, wo sie angefangen hatte. Ganz offensichtlich hatte sie die letzten zwölf Jahre nichts dazugelernt.
Zeitschleife.
Sie lief Gefahr, die Kontrolle zu verlieren. Gerade dann, wenn sie ihre ganze Disziplin brauchte.
Dieses Haus, das sie früher heiß geliebt hatte, war für sie zu einem Gefängnis geworden. Ihr altes Kinderzimmer zu einem Hort der Albträume, wo sie sich an so vielen düsteren Tagen der Verzweiflung hingegeben hatte, nachdem Angelo sie im Stich gelassen und ihr alle Hoffnungen und jedes Selbstvertrauen genommen hatte. Wenn Maria ihr nicht einen Ausweg geboten hätte, würde sie vermutlich immer noch hier wohnen!
„Erinnerst du dich, wo der Keller ist?“, fragte Sienna mit einer Stimme, die schrecklich piepsig klang.
„Wollen wir es mal eine Treppe tiefer versuchen?“, gab Brad spöttisch zurück, als Sienna aufschloss. „Dein Vater hat mich anfangs tagelang rauf- und runterrennen lassen. Ich erinnere mich an jeden Moment, den ich bei euch verbracht habe. Die Wochen hier gehören zu den schönsten meines Lebens.“
„Und wer war das noch mal?“, fragte Brad und hielt ein Schwarz-Weiß-Foto von einem gut aussehenden jungen Mann hoch. „Allmählich verliere ich den Überblick.“
„Großonkel Louis. Er war einer der Rossis, die aus der Toskana eingewandert sind, um in diesem Teil Londons das allererste Eiscafé zu eröffnen.“
„Schöner Schnurrbart. Wie war das Eis?“
„Er war schrecklich stolz auf den Schnurrbart und hat ihn jeden Tag gewachst. Das Wachs hat besser geschmeckt als das Eis.“
Brad lachte. Seite an Seite saßen sie auf der schmalen hölzernen Kellertreppe. „Trotzdem wird Großonkel Louis in der Rossi-Galerie Eindruck machen. Maria ist bestimmt begeistert. Tolle Idee.“
Rasch biss sich Sienna auf die Lippe, um ihre Freude über das Kompliment zu verbergen. „In den Restaurants der Rossis haben immer Familienfotos an den Wänden gehangen. Für Dad war das Restaurant eine Erweiterung seines privaten Esszimmers, was bedeutete, dass man seine Familie um sich hatte. Frankie hat noch mehr Kartons mit alten Aufnahmen in seinem Haus.“
„Noch mehr?“ Brad blickte auf das Durcheinander von Kartons und Kisten.
„Ich glaube, die zwanzig, die wir ausgewählt haben, genügen für unsere Zwecke. Moderne Rahmen und cremefarbene Wände werden sie zum Hit machen.“ Sienna lächelte ihn an, doch Brads Aufmerksamkeit wurde von einem großen Farbfoto gefesselt. „Oh nein. Ich dachte, ich hätte alle Abzüge davon zerstört. Her damit!“
Bevor sie es sich schnappen konnte, hatte Brad es schon in die andere Hand genommen und hielt es hoch in die Luft. „Du meine Güte, Miss Rossi. Du gibst wirklich eine hübsche Brautjungfer ab. Ist das Franks Hochzeit?“
Stöhnend lehnte sich Sienna zurück. „Blassgrün steht mir nicht. Ich vermute, es steht niemandem, aber meine Schwägerin fand die Farbe wunderschön. Ich hatte nichts dabei zu sagen.“
„Ach, ich weiß nicht … die Rüschen sind ganz entzückend. Vielleicht solltest du die öfter tragen“, neckte Brad sie.
„Oh, bitte. Was weißt du schon von Mode? Irgendwann möchte ich gern mal deine alten Familienfotos sehen. Oder bewahrst du sie sicherheitshalber in einem Bankschließfach auf?“
Sein Lachen hallte durch den langen, schmalen Keller. „Leider muss ich dich enttäuschen. Falls es überhaupt solche Fotos gegeben hat, sind sie längst verschwunden. Meine Mutter und ich waren nie auf
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