Julia Extra Band 0332
einer von dieser Sorte Mensch entpuppen.
Ihre Freunde und Bekannten wären wahrscheinlich hingerissen von Brads attraktivem Aussehen, tief beeindruckt von seinen schriftstellerischen Erfolgen und seinem Reichtum, sie würden sie beneiden und gern in ihren Schuhen stecken. Doch sie alle machten einen fatalen Fehler: Sie hielten Schönheit, Macht und Reichtum für den Schlüssel zum Glück. Maya wusste es besser.
Sie nahm ihre Reisetasche und ging ins Haus. Einerseits war sie heilfroh, der schrecklichen Party endlich entronnen zu sein, andererseits grübelte sie über ihr Verhalten nach. Hätte sie ein Date mit Brad vielleicht doch nicht so strikt ablehnen sollen?
Seufzend schloss sie die Tür zu ihrem winzigen Apartment auf und setzte ihr Gepäck ab. Sie ging quer durchs Zimmer zum Fenster, um zu lüften. Dann drehte sie sich um und betrachtete nachdenklich ihr kleines Reich, in dem sie wohnte, kochte und schlief.
Wie jeden Abend, wenn sie ihre durchgesessene Schlafcouch für die Nacht aufklappte, ließ sie auch jetzt ihren Blick auf dem Porträt ruhen, das an der gegenüberliegenden Wand hing. Es war ein Bild von ihr mit vierzehn …
Das Haar war zu dicken Zöpfen geflochten, und in den Augen spiegelte sich all das Leid jener Jahre als Teenager wider. In einer seiner immer selteneren gewordenen Schaffensperioden hatte ihr Vater sie gebeten, ihm Modell zu sitzen. Während dieser Wochen hatte er weder unmäßig Alkohol getrunken, noch bis in den Morgen hinein gefeiert.
Maya fragte sich oft, ob er damals vielleicht nicht doch eine leise Ahnung davon gehabt hatte, wie unglücklich sie war, wie sehr sie darunter litt, von ihm so ganz und gar vernachlässigt zu werden.
„Lächele, Darling, lächele“, forderte er sie von seiner Staffelei aus immer wieder auf. Die Sitzungen fanden in seinem Studio statt, das einstmals der Speisesaal der herrschaftlichen alten Villa gewesen war. Ihr Vater hatte sich diesen Raum wegen der hohen Fenster und der hervorragenden Lichtverhältnisse als Atelier ausgesucht.
„Mir ist gerade nicht danach zumute“, behauptete Maya in trotziger Teenagerart, obwohl sie unsäglich litt und ihrem Vater am liebsten das Herz ausgeschüttet hätte.
Wie sich später herausstellte, sollte dieses Porträt das letzte Bild im Lebenswerk ihres Vaters werden.
Nachdem er es vollendet hatte, gab es keine hellen Phasen in seinem Leben mehr, nur noch Alkohol und Drogenexzesse mit seinen sogenannten Freunden. Drei Jahre später setzte er seinem Leben ein Ende, und Maya verlor mit siebzehn nicht nur ihren Vater, sondern auch ihr Zuhause. Die Villa musste verkauft werden, um die Schulden zu bezahlen, die Alistair Devereaux seiner Tochter hinterlassen hatte.
Maya schüttelte sich. Sie wollte die dunklen Erinnerungen verscheuchen, anstatt sich von ihnen erdrücken und lähmen zu lassen – sie wollte etwas unternehmen. Nach einem Blick auf die Uhr entschloss sie sich, das Auspacken auf den nächsten Tag zu verschieben und stattdessen auf einen Cappuccino in das kleine Café ihres Freundes Diego zu gehen.
Sie würde in Zeitungen und Illustrierten blättern und nur Artikel mit erfreulichem, schönem oder romantischem Inhalt lesen. Alle anderen würde sie überspringen. Und anstatt sich mit ihrem eigenen Innenleben zu beschäftigen, würde sie durchs Fenster sehen und die Passanten beobachten.
In Camden wimmelte es nur so von interessanten Menschen, die sich gerade dazu anboten, als Vorlage für abenteuerliche und spannende Fantasiegeschichten zu dienen.
„Ich soll ihr einen Job beschaffen? Wie darf ich das denn bitte verstehen?“ Jane Eddington, Brads Agentin, blickte über den Rand ihrer Lesebrille. Das Gestell, ein hypermodernes und ausgefallenes Designerstück, passte hervorragend zu Janes durchgestylter Erscheinung.
„Hat es dich diesmal echt erwischt, Darling? Zu derart verzweifelten Mitteln hast du noch nie gegriffen, um eine Frau ins Bett zu bekommen! Ich fasse es nicht, auf dieser großen weiten Welt scheint wirklich ein weibliches Ausnahmewesen zu existieren. Es gibt sie also, die Frau, die sich dem Charme des unvergleichlichen Brad Walker gegenüber als immun erweist!“
„Machen dich die Wechseljahre zur spitzzüngigen Zynikerin, Jane?“, konterte Brad, obwohl er sich überführt fühlte. „Kämpf dagegen an, es steht dir nicht.“
„Diese durch und durch rüpelhafte Bemerkung möchte ich bitte überhört haben! Lass uns bei den Tatsachen bleiben. Eine geschlagene halbe Stunde lang
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