Julia Extra Band 0332
zu beneiden, weil du hier leben darfst.“
Sie versuchte, Brad abzulenken.
„Der Held deines neuen Stücks ist also ein Legionär unter Hadrian, der hier stationiert ist und den Wall in Ordnung halten und bewachen muss?“, erkundigte sie sich atemlos. „Er ist also ein richtiger Römer?“
„Nein, die hier stationierten Söldner waren selten Römer, sondern wurden in der Umgebung von Tungria, dem heutigen belgischen Tongelen, angeworben.“
„Und was erlebt er hier?“ Maya wollte mehr wissen, als Brad ihr bisher erzählt hatte, denn die Handlung faszinierte sie. Es war die herzzerreißende Geschichte eines Bauernjungen, der voller Idealismus Eltern und Hof im Stich ließ, um sich dem römischen Heer anzuschließen. Er wurde in der Provinz Britannia stationiert und verliebte sich dort in ein einheimisches Mädchen. Da die Legionäre nicht heiraten durften, musste sich das junge Paar heimlich treffen.
Brad zögerte und sah in die Ferne. „Nun“, antwortete er schließlich, „zum Schluss verliert der junge Held bei einem nächtlichen Angriff auf den Wall das Leben. Vorher jedoch erfährt er noch, dass die geliebte Frau schwanger ist, und schwört ihr, einen Weg zu finden, mit ihr zurück in seine Heimat zu fliehen und sie dort zu heiraten. Das Söldnerleben mit dem ständigen Töten für eine Macht, der es nur um Eroberung und Unterdrückung geht, hat ihn ernüchtert. Er erkennt den Wert des einfachen Landlebens, das Glück, in Frieden Land bestellen zu können, um damit eine eigene Familie zu ernähren.“
Brad machte eine kleine Pause. „Ist das nicht auch heute noch so? Wir bereisen die ganze Welt, um unsere Träume zu verwirklichen, nur um zu erkennen, dass das, was wir suchen, schon die ganze Zeit direkt vor unseren Füßen gelegen hat.“
Er deutete auf den Wall. „Leben zu vernichten, ist eine ungeheuerliche Tat, Gewalt lässt sich nicht rechtfertigen und kann niemals die Antwort sein. Und am wichtigsten ist es, bei sich anzufangen und sich der eigenen Aggressivität zu stellen. Das ist der eigentliche Kern des Stücks.“
Der Wind hatte Brad eine Locke in die Stirn geweht, und Maya betrachtete fasziniert seine klassischen Gesichtszüge. Im Gegenlicht wirkte sein Kopf wie gemeißelt. Dass Brad ausgerechnet eine Liebesgeschichte gewählt hatte, um seine Anschauung zu verdeutlichen, beeindruckte sie tief.
„Wovon hast du eigentlich als Junge geträumt?“, fragte sie spontan.
Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort. „Ich träumte davon“, meinte er schließlich ruhig, „kreativ zu sein und meine Sache gut zu machen und … glücklich zu werden.“
„Bist du das?“
„Bist du es?“
„Das ist nicht fair“, protestierte Maya.
„Gut, dann antworte mir, wovon du als Mädchen geträumt hast.“
Er wollte sie herausfordern, das war Maya klar. Sie steckte die Hände tiefer in die Taschen ihrer Jeansjacke und überlegte. Weil sein durchdringender Blick ihr letztendlich keine Wahl ließ, sagte sie die Wahrheit.
„Ich wollte erwachsen werden, einen Mann finden, der mich liebte und den ich liebte, und mit ihm eine Familie gründen. Ich war nie besonders ehrgeizig, wollte nicht berühmt werden und sehnte mich auch nicht nach Reichtum.“ Sie senkte den Kopf. „Es war ein kindischer Wunsch, das erkenne ich umso klarer, je mehr ich von der Welt sehe. Was mir damals so einfach schien, ist kaum zu verwirklichen. Deshalb versuche ich nun, mit dem zufrieden zu sein, was ich habe, und freue mich über jeden einzelnen Tag.“
„Und deine künstlerische Begabung? Hast du von deinem Vater kein Talent geerbt?“
„Nein, ich bin ein hoffnungsloser Fall und kann weder malen noch zeichnen.“ War Brad jetzt enttäuscht von ihr? Sie hätte am liebsten geweint, so wertlos fühlte sie sich plötzlich. Die Augen blind vor Tränen, drehte sie sich um und begann mit dem Abstieg. Prompt übersah sie einen Felsbrocken, geriet ins Stolpern und konnte nur mit Mühe das Gleichgewicht bewahren.
Im Nu war Sheba neben ihr, legte den Kopf zur Seite und sah sie an, als wolle sie fragen, ob etwas nicht in Ordnung sei und sie helfen könne. Mayas Humor gewann wieder die Oberhand, und sie musste über sich selbst lächeln.
„Alles okay, Sheba, ich bin zwar eine dumme Gans, aber ansonsten geht es mir bestens, ehrlich.“ Ohne die geringste Furcht streichelte sie der Hündin den Kopf.
Maya danach zu fragen, ob sie als kleines Kind gern in die Fußstapfen ihres Vaters getreten wäre, war wirklich mehr als ungeschickt
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