Julia Extra Band 0339
Wie-kannst-du-nur-so-dumm-sein- Seufzer von sich. „Wir können nicht wegfahren, Daddy. Du weißt, dass ich im Weihnachtsengel mitsinge und dann live im Fernsehen zu sehen bin. Außerdem gibt Brenda am zweiten Weihnachtstag eine Party, die ich auf keinen Fall verpassen will.“
Noch vor einer Woche waren Ace und Brenda Erzfeindinnen gewesen. Morgan hatte also recht gehabt. Oberflächlichkeit hin oder her – die neuen Klamotten hatten funktioniert, und das war immerhin etwas wert. Ebenso wie das Strahlen in den Augen seiner Tochter, als sie ihren bevorstehenden Live-Auftritt im Fernsehen erwähnte.
Sobald Ace im Bett lag, unterschrieb Nate das Einwilligungsformular und schob es in ihre Schultasche. Eine Stunde später klingelte das Telefon. Es war der Bürgermeister von Canterbury, dem auch die Tankstelle gehörte. Er teilte Nate mit, dass für das Bühnenbild für den Weihnachtsengel noch ausgebildete Handwerker auf ehrenamtlicher Basis gebraucht würden. Ob er eventuell auch dabei sein würde …?
Vor Morgans Besuch an diesem Nachmittag wäre Nates Antwort noch knapp und eindeutig ausgefallen. Inzwischen war er sich jedoch bewusst, dass er ein Mann war, dem die Nöte und Hoffnungen seiner Nachbarn nicht gleichgültig waren.
Kleinstädte waren seltsame Orte. Jahrhundertealte Fehden wurden beigelegt, wenn das Schicksal zuschlug. Genau wie die Hathoways hatte auch Davids Familie immer am Rand der Gemeinschaft gelebt. Und doch hatte die Stadt David bei seiner Beerdigung wie einen Helden verabschiedet.
Nach Cindys Tod war das Ausmaß nachbarlicher Unterstützung noch überwältigender gewesen. Der Pfarrer einer Kirche, die Nate nie von innen gesehen hatte, hatte ihm angeboten, die Messe zu lesen, und es gab nicht annähernd genug Plätze für all die Menschen, die gekommen waren, um seiner Frau die letzte Ehre zu erweisen. Menschen, von denen er geglaubt hatte, dass sie nicht einmal von seiner Existenz wussten, waren für ihn und Ace da gewesen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Selbst jetzt kam es noch vor, dass er abends von der Schmiede kam und vor der Tür einen Eintopf oder frisch gebackene Kekse oder ein Spielzeug für Ace vorfand.
Anfangs war es Nate schwergefallen, diese Gesten der Hilfsbereitschaft anzunehmen, aber mit der Zeit war ihm klargeworden, dass es kein Mitleid war, sondern etwas, das tiefer ging. Es hatte mit dem zu tun, warum Menschen sich dafür entschieden, in einer kleinen Gemeinschaft zu leben. Mit dem Bedürfnis, sich geborgen zu fühlen und zu wissen, dass die anderen sich um einen kümmerten, ob es einem passte oder nicht.
Und es ging dabei nicht nur ums Nehmen. In Zeiten, wo es möglich war, gab man das, was man bekommen hatte, mit vollen Händen zurück.
Nate war sich nicht sicher, ob er ein solches Leben führen konnte, aber es fühlte sich an, als wäre es an der Zeit, es herauszufinden. Und so erklärte er sich bereit, beim Bau des Bühnenbildes mit Hand anzulegen.
Und da die Aula der Schule der einzige Ort war, der ausreichend Platz bot, um den Weihnachtsengel zu beherbergen, bedeutete das, dass sich sein Leben von nun an unweigerlich mit dem von Morgan McGuire verstricken würde.
Ob es ihm gefiel oder nicht.
Morgan führte ihre zweiundzwanzig Schutzbefohlenen in die Aula.
Nachdem sie Nate mit so flammenden Worten die Vorteile vor Augen geführt hatte, die der Weihnachtsengel für Canterbury haben würde, begann das Unternehmen ihr allmählich selbst auf die Nerven zu gehen. Die Kinder redeten von nichts anderem mehr. Sie dachten an die wenigen Minuten, die sie im Fernsehen zu sehen sein würden, und glaubten, sie würden berühmt werden. Beim Singen versuchte jeder, seinen Nebenmann an Lautstärke und Ausdruckskraft zu übertrumpfen, wobei einige von ihnen einen deutlichen Hang zum Theatralischen an den Tag legten.
Heute sollte ihre Klasse dem Produktionsteam zum ersten Mal vorführen, was sie gelernt hatte. Der Großteil der Crew war schon letzte Woche angereist und belegte das einzige Hotel im Ort mit Beschlag. Gestern Abend war dann Mr Wellhavens Gattin persönlich eingetroffen, die von nun an die Proben mit den Kindern übernehmen würde.
Als Morgan die Aula betrat, spürte sie sofort, dass er da war.
Etwas passierte mit ihrem Nacken. Nicht, dass sich die feinen Härchen wie beim Ansehen eines Horrorfilms sträubten. Es fühlte sich eher an, als würde sie ein leichter, sexy Atem streifen. Unauffällig ließ sie den Blick durch den Raum schweifen, und da
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